Ankern mit Landleinen – gelernte Lektionen!

Nach nur wenigen Tagen in der winterlichen Wildnis von Grönland ist die Fülle an Erfahrungen und daraus gezogenen Lehren unglaublich groß! Und um eine dieser Erfahrungen dreht sich dieser Bericht:

Das Abwettern von Sturm in einer arktischen Ankerbucht mit Anker und Landleinen.

Die Ausgangssituation:

Wir liegen vor Anker in der Bucht von Færingerhavn. Einem schönen Ankerplatz mit der Möglichkeit, mittels Landleinen hinter zwei Inseln Schutz zu finden. Die Wetterdaten zeigen eine ausgeprägte Tiefdruckentwicklung über Neufundland mit der Voraussicht, dass sich das Sturmtief weiter vertieft und die Davis-Straße zwischen Grönland und Kanada in den Norden zieht. Das bedeutet, dass es uns in zwei bis drei Tagen an der grönländischen Küste orkanartigen Sturm Stärke 10 bis 11 aus Süd bis Südost bringen wird, mit gemeldeten Windgeschwindigkeiten bis 85 Knoten in Böen.

Wettervorhersage
Ausgangssituation: der gemeldete Wetterbericht

Aufgrund unserer täglichen Wetterbeobachtung über Amateurfunk, bei der wir stets auch die Großwetterlage und die mögliche Entwicklung daraus beobachten, haben wir genügend Zeit, uns auf diesen schweren Sturm vorzubereiten.

In dem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass die Praxis mancher Segler, möglichst kleinflächige Wetterkarten herunterladen, um Iridium-Kosten zu sparen, fatal ausgehen könnte. Nur die laufende Beobachtung der Großwetterlage hilft, sich auf kommendes Wetter richtig vorzubereiten.

Wir begutachten unseren derzeitigen Ankerplatz und überlegen die Möglichkeiten, hier in Færingerhavn den Sturm abzuwettern. Doch sämtliche rundum geschützte Buchten sind zugefroren und unser derzeitiger Ankerplatz weist zwei Probleme auf, selbst wenn wir uns im Lee der kleinen Insel Valdemar Oe mittels Landleinen verhohlen: Wir können nicht abschätzten, ob die Eisfläche an der Ostseite der Insel (die zur Zeit etwas größer ist als die graue, nicht kartografierte Fläche in der Seekarte) durch den Sturm bei Hochwasser uns bedrohen wird. Und das zweite Problem: wir müssen vermuten, dass der Sturm Eis aus dem Fjord über die Südwestseitige Öffnung (zwischen Festland und Henning Oe) zu unserem Ankerplatz drücken wird. Wir müssen einen besseren Platz suchen.

Ankerplatz
Der Ankerplatz in Valdemar Oe bietet nicht genügend Schutz

Da die Wetterkarten eine Intensität des Sturms südlich von uns zeigen, suchen wir die Seekarten nördlich von unserer derzeitigen Position auf Möglichkeiten ab. Wir suchen nach einen Platz, der möglichst nicht tief in einem Fjord liegt (wir vermuten schwere Fallböen zwischen den hohen Bergen der Fjorde). Entlang der Küste ist die Landschaft niedriger (= konstantere Windbedingungen) und mit vielen Schären versehen (= kleine, verwinkelte Ankerplätze mit gutem Schutz).

Der Platz muss in alle südlichen Richtungen geschlossen sein, sodass der Wind auf keinen Fall Eis in die Bucht treiben kann. Die Bucht soll relativ klein sein, damit sich keine nennenswerte Welle aufbauen kann. Die Seekarte zeigt eine gut geschützte Bucht im Buksefjord, 12 Seemeilen nördlich von uns, hinter einer Halbinsel am Eingang des Fjords. Perfekt, bis auf die Kleinigkeit, dass der Fjord nicht vermessen ist, es gibt demnach keine genauen Seekarten, die gewählte Bucht ist überhaupt nicht vermessen. Wir haben genügend Zeit vor dem Unwetter und beschließen, die Bucht in Augenschein zu nehmen. Vielleicht ist sie ja tief genug und bietet einen guten Ankerplatz.

Wir erreichen die Bucht unter Motor bei ruhigem Wetter.

Die Bucht ist voll dünnem Eis und wir brechen uns den Weg hinein. Wir finden sehr seichtes Wasser (bei Niedrigwasser 2 bis 3 Meter unter unserem Kiel, aber Sandboden (guter Ankergrund) und flache, sandige Ufer (keine Fallwinde).

Wir ankern eine Nacht in der Bucht und sind nicht ganz zufrieden mit dem Platz: die Bucht ist so groß, dass das Eis die ganze Nacht in Bewegung bleibt (und an den Bordwänden hin und her schrammt) und Landleinen können wenn dann nur an eine Seite ausgebracht werden (ebenfalls wegen der Größe der Bucht). Außerdem finden wir nur unzureichende Felsen, die für das Belegen von Landleinen verwendet werden könnten.

Wir benützten das Dingi (wir haben immer noch Schönwetter und eine leichte Briese) um die nähere Umgebung auf bessere Möglichkeiten abzusuchen. Dabei entdecken wir eine kleine Bucht (mit Landabdeckung an ihrer Südostseite), die an ihrer Südwestseite eine tiefe Felsspalte aufweist. Diese Felsspalte ist groß genug für unsere Yacht, bietet einige große Felsen zum Festmachen der Leinen und zeigt tiefes Wasser ohne Untiefen in ihrer Mitte. Die Bucht ist zwar etwas in den Südwesten ausgerichtet, zeigt aber ausreichend Landschutz Richtung Ost und relativ niedriges Land zu allen Seiten.

Wir entscheiden uns für diese Einbuchtung.

gewählte Ankerbucht
Wir wählen eine kleine Felsspalte als Ankerbucht für den kommenden Sturm.

Mittlerweile zeigen die Wetterkarten, dass sich das Sturmtief mit einem Kerndruck von 936HPa entwickelt hat und bereits in Südgrönland tobt.

Doch zeigen die Prognosen auch, dass es an Stärke verlieren wird und bei uns „nur“ noch mit 9 Beaufort und Windstärken bis 55 Knoten aus Südost bringen wird. Noch vor dem Starkwind wird an unserer Position Ost-Nord-Ost Wind mit 7 Beaufort erwartet.

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Für den gemeldeten Ost-Nord-Ost ist unsere Bucht gerade eben ok, doch können wir erwarten, dass der Wind seine Richtung dem Fjord anpassen wird und möglicherweise durch Flurwinde verstärkt wird. Deshalb bringen wir unseren schweren Hauptanker Richtung Nordost aus. Wir verholen LA BELLE EPOQUE Bug voran in die ausgewählte Bucht, belegen vier Landleinen an die Steuerbordseite (Süd-Ostseite) des Bootes (siehe Skizze: Trosse 3, 4 und 5, wobei Trosse 5 zwei Trossen sind).

ankern mit Landleinen
Wir bereiten uns auf den Sturm vor.

Diese Trossen befestigen wir an Land an zwei massiven Felsbrocken. Da ein ausgewählter Felsen grobe Kanten hat, entschließen wir uns, mit einem Kettenstück um den Felsen zu gehen und unsere Landleinen an die Kette mit Scheuerschutz zu verzurren (Trosse 5). Den zweiten Felsen umspannen wir mit den Landleinen selbst, wobei wir mit einer extra Trosse eine „Sicherheitsschlaufe“ legen. Die Landleinen werden primär an dieser Extratrosse fixiert, wobei wir eine lose Schlaufe ebenfalls um den Felsen verknoten. Falls die Extratrosse durchscheuert, geht die Schlaufe der Landleine selbst auf Zug und hält uns.

Am Backbordbug bringen wir den zweiten Hauptanker mit Kette aus, indem wir ihn bei Niedrigwasser zwischen Felsen platzieren und die Kette extra um Felsen wickeln (Nummer 2 auf Skizze). Dazu entscheiden wir uns deshalb, weil über der Hochwassermarke keine möglichen Felsen fürs Belegen von Landleinen gefunden werden. Da wir für Landleinen stets Schwimmtrossen verwenden, können wir das Belegen unter Wasser nicht riskieren, Hochwasser könnte unsere Leinen von den Felsen heben. Am Heck bringen wir eine Landleine (Nummer 1 auf Skizze) zur Südwestseite aus. Wir fühlen uns gut verholt und soweit vorbereitet.

Schließlich bläst der Wind zum Auftakt.

Bei fallenden Luftdruck erleben wir Wind mit 7 Beaufort aus Nordost. Eine denkbar schlechte Ausgangssituation, der Hauptanker bekommt die Last, Windsee aus dem Fjord erreicht uns und LA BELLE EPOQUE tanzt unmittelbar vor den Felsen. Wir belegen die Landleinen neu: wir verholen eine der Beiden Trossen Nr. 5 an den Bug und die Trosse Nr. 1 ebenfalls an den Bug.

umgelegte Schwimmtrossen
Wir belegen zwei Trossen neu.

Sollte nun der Hauptanker zu schleppen anfangen, würde sich zwar das Heck des Bootes drehen, aber die beiden neu verholten Trossen könnten das Boot vor einer Strandung abhalten. Notfalls würden wir den Motor zur Unterstützung des Ankers verwenden. Wir machen uns Sorgen, dass der Wind möglicherweise nicht nach Südost dreht, sondern dem Verlauf des Fjordes folgt.

Doch unsere Bedenken sind unnötig. Gegen Abend herrscht plötzlich Flaute. Der Luftdruck hat seinen Tiefpunkt mit 960HPa erreicht und der Barograf zeigt einen abrupten Druckanstieg.

Es dauert nicht lange, fallen erste Sturmböen aus Süd-Süd-Ost ein.

Im Laufe der Nacht erreicht der Wind konstante Geschwindigkeiten von 35 bis 40 Knoten, mit Böen um die 50 Knoten. Das Boot liegt gut geschützt, alle Leinen halten stand und wir erleben, wenn auch in Schräglage, ruhiges Wasser um uns.

Nach Durchzug des Sturmwindes folgt heftiger Schneefall und steifer Wind aus Südwest für zwei Tage. Wir gehen an Land und überprüfen unsere Leinen. Wir finden keine nennenswerten Scheuerstellen, bringen aber zusätzlichen Scheuerschutz an Trossen Nr. 1 an. Auffällig jedoch ist, dass sämtliche Knoten, welche nicht belastet wurden (die extra, mittels Palstek belegten „Sicherheitsschlaufen“) gelöst sind. Wir vermuten, dass das bewegte Wasser während des Nord-Ost Windes daran schuld ist.

Leinenkontrolle
In der Ruhepause kontrollieren wir alle Trossen.

Da sich der Platz gut bewährt hat und die Wetterkarten ein zweites ausgeprägtes Tief zeigen, beschließen wir, hier zu bleiben. Wiederrum zeigen die Karten das selbe Szenario: zuerst Ostwinde mit 5 Beaufort, später Sturm aus Südost. Diesmal machen wir uns keine besonderen Sorgen, als der Wind aus Nordost dem Fjord folgend kommt. Noch am Abend des 5. Februars nimmt der Nordost Wind allerdings zu und erreicht 8 Beaufort. Mittlerweile steht eine ruppige Welle mit zirka einem Meter in unsere Bucht. LA BELLE EPOQUE schlingert gefährlich vor den Felsen.

Am späten Abend entschließen wir uns, Ankerwache zu fahren.

Das Boot ist mittlerweile dicht an die Felsen gerückt und wir starten den Motor, da wir vermuten, dass der Hauptanker nicht ausreichend hält. Wir holen alle Leinen dicht, um die Belastung möglichst gut zu verteilen. Doch dabei passiert ein Fehler: wir holen die Trosse 5 zu dicht, das Heck geht durch den Wind. Wir haben keine Trosse mehr, die dagegen hält, LA BELLE EPOQUE droht, Steuerbords an die Felsen gedrückt zu werden. Ich springe ans Steuer und gebe Vollgas. Nur mit einem beherzten „in die Leinen dampfen“ nach vorne kann ich das Heck in letzter Sekunde wieder durch den Wind drehen. Dabei bricht allerdings Trosse Nr. 1.

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Der Heckanker rutscht und LA BELLE EPOQUE droht zu stranden.

Ich lege den Rückwärtsgang ein und dampfe mit dreiviertel Gas zurück, versuche, die Trossen 5, 4 und 3 auf Spannung zu halten.

Der Nordostwind hält die restliche Nacht an. Wir müssen abwechselnd am Steuer arbeiten, da das Freihalten der Yacht unter Rückwärtsgang anstrengend ist und die ganze Aufmerksamkeit braucht. Durch den Radeffekt wird die Yacht Richtung Felsen an der Ostseite gedrückt, der Wind arbeitet in Böen dagegen und versucht, die Yacht voran an die Felsen zu waschen. Im Rückwärtsgang hat das Boot nicht viele Kraftreserven: nimmt der Wind zu, werden wir uns nicht von der harten Strandung an die Felsenküste bewahren können. Wir überlegen uns Manöver, wie wir bei weiteren Bruch möglichst Unbeschadet die Bucht verlassen können. Doch wir wissen, dass wir kaum ohne Grundberührung frei kommen werden. Der Barograf zeigt einen Druckabfall von 9,1HPa in drei Stunden, ein Wert, der uns mit Sorgen erfüllt, denn er zeigt Sturm. Über Stunden arbeiten wir mit dem Motor, entgegen aller Sorgen bleibt das Wetter konstant.

Am Morgen nimmt der Wind ab und plötzlich wird es noch brenzlicher:

Der Schraubeneffekt arbeitet gegen uns. LA BELLE EPOQUE wird durch ihre eigene Schraube Richtung Ostufer gedrückt. Wir haben Niedrigwasser und sind mittlerweile tief in die Bucht gerückt, haben keinen Meter Wasser mehr unterm Bug und können nicht auf das Zurückmotoren verzichten. Aus dieser Lage hilft jetzt nur noch fliehen. Jürgen schnappt sich ein Messer und schneidet die angespleißte Trosse vom Ankergeschirr am Bug (Trosse Nr. 2).

Ich arbeite in der Zwischenzeit am Steuer. Trosse 3, 4 und 5 lassen sich nicht leicht lösen, wir haben beim Belegen nicht darauf geachtet, sie notfalls schnell lösen zu müssen. Deshalb dauert das Befreien der Yacht so lange, dass wir eine leichte Grundberührung am Ostufer nicht vermeiden können. Doch wir kommen mit einem sprichwörtlichen blauen Auge davon: kurz nach der leichten Grundberührung ist LA BELLE EPOQUE frei und unsere Verluste sind minimal: ein Messer, eine zerschnittene Ankertrosse, Ein Schäkel, der ins Wasser gefallen ist. Keine Schäden am Schifferl.

Der Nordostwind hält nicht mehr lange an und bald können wir die ruhige Wetterphase nützen, um uns für den kommenden Südostwind neu zu verholen.

Deckvereisung am Heck
Deckvereisung am Heck.

Gelernte Lektionen aus dieser Erfahrung

    • Immer Bug Richtung offenes Wasser ausrichten: der Hauptfehler in unserem Verholen lag daran, dass wir Bug voran in der Bucht lagen. So mussten wir mit dem Rückwärtsgang arbeiten. Die Yacht reagiert schlecht und versucht, auf die Seite auszubrechen, die Schraube liefert nicht die ganze Kraft des Motors.
    • Nur Schwimmtrossen verwenden: unsere Schwimmtrossen haben sichergestellt, dass wir ohne Sorgen die Schiffsschraube verwenden konnten. Die Gefahr, Leinen in die Schraube zu bekommen wäre fatal gewesen
    • Yacht in alle Richtungen ausreichend vertrauen: mit mehr Leinen Richtung West und einem zweiten Anker in Richtung Nordwest währen wir vielleicht nicht in Schwierigkeiten gekommen.
    • Alle Trossen so belegen, dass sie leicht gelöst werden können: hätten wir die Trossen leicht loswerfen können, wären wir nicht auf Grund gelaufen.
    • Segelmesser griffbereit halten, geladene Akkulampen/Scheinwerfer bereit halten: beiden wurde in mehreren Situationen von uns benötigt.
    • Motor und Antrieb sorgfältig warten: ohne einwandfreier Technik hätten wir nichts gegen eine Strandung tun können.
    • Fluchtmöglichkeiten besprechen und planen: koordinierte Teamarbeit muss schnell und reibungslos funktionieren, alle Teammitglieder müssen Übung am Motor und Steuer haben.
    • Ankerwache halten: damit Kräfte geschont werden und die gesamte Crew einsatzbereit bleibt.

Gelernte Lektionen speziell für die Hohen Breiten

    • Eistrift beachten: bei der Wahl des Ankerplatzes darauf achten, dass kein Eis den Ausgang der Bucht verstopfen kann.
    • Mehrere Buchten im Voraus ins Auge fassen: viele Buchten frieren bei Kälte zu und können nicht mehr genützt werden
    • Immer ausreichend warme Kleidung anziehen: schnell schnell geht nicht – ohne Handschuhe rauszuspringen um eine Trosse zu lösen kann zum vorübergehenden Ausfall führen. Extra Kleidung zum Wechseln bereit halten (Handschuhe, Hauben,…)
    • Deckvereisung nicht unterschätzen: nach einer Nacht mit kleinen Wellen in der Ankerbucht war unser gesamtes Heck ein großer Eisklotz
    • Pausen im Sturm nützen: Trossen an Land überprüfen. Im Eismeer macht Wind sicheres Dingifahren unmöglich. Eventuell können Überlebensanzüge helfen.
    • Nie alleine an Deck arbeiten: da das Deck durch Schnee und Eis extrem rutschig wird.
    • Im Boot gut heizen: das schont Kräfte und hilft, Kleidung immer sofort zum Trocknen zu hängen.

Ein Kommentar

  1. Its a rare thing to come across such a detailed and informative write up. Thank you for taking the time to share your story, technical analysis and self evaluation. Impressive

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