Gemeinsam mit drei anderen Yachten liegt La Belle Epoque eingeweht im sicheren Hafen von Pirowall auf der kleinen Insel Westray. Der ehemalige Fischereihafen, der mittlerweile einen Schwimmsteg für besuchende Yachten beherbergt, soll unser letzter auf den Orkney Inseln werden, denn von hier aus wollen wir zu den Faroe Inseln segeln.
Vor uns liegen knappe 200 Seemeilen über den Nordatlantik, keine besonders beeindruckende Entfernung – und dennoch ein Übersegler, der ordentlich geplant werden will. Nicht nur, dass vor der Insel Westray extreme Tidenströme mit Brecher und Wasserwirbel auftreten können und die Ansteuerung von Suduroy – der südlichen Faroe Insel – bei starkem Ebbstrom schwierig werden kann, auch befinden wir uns hier in einer wahren Wetterküche: in der Zugbahn der Tiefdrucksysteme.
Durch die Nordatlantik Strömung, dem Ausläufer des warmen Golfstroms, wird rund um die Faroe Inseln schlechte Sicht und Nebel als normale Bedingungen angesehen und das einzige Küstenhandbuch, welches für dieses Seegebiet erhältlich ist und die Faroe Inseln nur streift, Willi Ker ́s „Faroe Iceland Greenland“, herausgegeben in Englisch von Imray, beschreibt den Landfall bei wenig Sicht und schlechtem Wetter als sehr wahrscheinlich.
Die Strecke führt von den Orkney Inseln über die nur 50 Meter tiefe Papa Bank, knapp vorbei an einem Ölfeld und durch den Faroe Bank Kanal, wo das Wasser relativ rasch von knappen 1000 Metern Tiefe auf um die 100 Meter Tiefe ansteigt. Generell drückt der Nordatlantikstrom das Wasser zwischen den Inselgruppen durch und setzt mit durchschnittlich einem halben Knoten Nordost, wenn auch die Tidenströme an der Südspitze von Suduroy starken Gegenstrom verursachen können. Läuft der Nordatlantikstrom gegen den Wind, darf mit steiler und kurzer See gerechnet werden. Im Klartext heißt das für uns leider, dass wir auf dieser Etappe ruppigen Seegang erleben werden, da unser Kurs in den Nordwesten geht und Ostwind (also Wind gegen Strom) nun einmal die optimale Windrichtung für uns sein wird.
Sicher verzurrt im Hafen, betrachten wir die Grib-Daten und die Bodenanalysekarte, die uns der freundliche Hafenmeister ausgedruckt und vorbeigebracht hat. Wie gewöhnlich beraten wir uns außerdem per Amateurfunk mit Klaus von Intermar über die momentane Wettersituation. Und damit stehen uns drei verschiedene Qellen zur Verfügung: die amerikanischen Grib- Daten, die englischen Bodenanalysekarten und die Angaben des deutschen Wetterdienstes, die uns täglich von den Intermar Netcontrol ́s durchgesagt werden. Genug Wetterberichte also, um sich ein gutes Bild über die Situation zu verschaffen.
Und wie so oft, sind sich alle Quellen einig: wir befinden uns am nord- nord östlichen Rand eines Atlantiktiefs, das im Augenblick westlich von Irland steht und sich nur langsam weiterbewegt. Über Grönland steht ein stabiles Hochdrucksystem, welches das Tief im Süden halten sollte.
Diese Kombination bringt günstige Windrichtungen für uns: auf der ganzen Strecke ist mit frischem Ostwind zu rechnen, der erst in drei Tagen Richtung Nordost drehen sollte. Frischer Ostwind, der mit 20 Knoten, hochgehend auf 25 Knoten Windgeschwindigkeit eine rasche Fahrt verspricht. Allerdings bringt das Sturmtief, das im Süden von uns liegt, nicht nur Ostwind an seiner Nordost-Flanke, sonder auch Sturmböen, die bis 38, teilweise 40 Knoten bringen können. Und schon sieht die Welt ganz anders aus…
Der Seegang wird mit zirka 3 Meter gemeldet, wobei die Windsee aus Osten, eine alte Dünung jedoch aus Nordwesten stehen sollte. Eine gemeldete Kreuzsee mit der Tendenz, eine steile und ruppige See zu erleben, da ja wie schon oben beschrieben die Meeresströmung gegen die Windsee laufen wird. Die Sicht wird die nächsten Tage moderat bis schlecht bleiben, der Himmel grau in grau und natürlich werden wir auch durch Regenschauer segeln müssen.
Wir trinken einen Kaffee und betrachten die Daten. Keine leichte Entscheidung. Klar, die Windrichtung ist perfekt und wir wissen, dass La Belle Epoque mit böigen Wind gut umgehen kann. Wir wissen, wir haben ein starkes Schiff und gute Ausrüstung an Deck, im Steuerhaus wird uns auch der Regen nicht viel anhaben können und die Navigation stellt Dank elektronischer Seekarten auch bei schlechter Sicht kein ernsthaftes Problem dar. Wir sind ein eingespieltes Team und können La Belle Epoque noch hier im Hafen gut vorbereiten – Starkwindsegel anschlagen und Sturmstag riggen.
Doch ist es gute Seemannschaft, vor einem Sturmtief auszulaufen, nur weil die Bilder am PC anzeigen, dass es von einem Hochdrucksystem in Schacht gehalten wird? Auch wenn heute Wetterberichte durchaus gut sind und eine Vorausmeldung bis zu 72 Stunden relativ vertrauenswürdig ist, kann es doch vorkommen, dass sich die Meteorologen irren. Wenn das Hoch über Grönland nicht seine Position halten kann, wird das Sturmtief über Irland, dessen Kerndruck für den morgigen Tag bei 979HPa liegen sollte, Richtung Nordosten wandern – damit also hinter uns her jagen.
Befinden wir uns dann bereits an der Südspitze der Faroe Inseln, könnte dieses Sturmtief fatale Folgen für uns haben: bei Tidenströme bis 4 Knoten würden sich brechende Seen aufstellen, die nicht nur ruppig und ungemütlich wären, sondern ernsthaft gefährlich werden und ein Segelboot leicht zum Kentern bringen können. Die Öltürme und der damit verbundene Schiffsverkehr würden uns nur wenig Seeraum zum Abwettern eines ausgeprägten Sturms übrig lassen, der Einsatz des Fallschirmankers wäre damit keine gute Lösung.
Echowellen, die sich an der steilen Klippenküste der Faroes bilden, würden das Einlaufen in einen Schutzhafen kaum möglich machen und das Ablaufen eines Sturm würde uns nur in die Weiten des Nordatlantiks treiben.
Dazu kommt, dass sich Jürgen vor wenigen Tagen einen Hexenschuss zugezogen hat. Zwar kann er sich schon wieder recht gut bewegen, doch sind seine Kreuzschmerzen noch nicht verschwunden, kaum zu sagen, ob er die Arbeit unter Segel durchhalten kann.
Wir gehen unsere Möglichkeiten durch. Lassen wir den Ostwind an uns vorüber gehen, werden wir für Tage hier im Hafen gefangen sein. Für die kommende Woche wird kaum eine neue Chance für den Aufbruch kommen und nachdem sich das Tief langsam mit seinen starken Winden über uns gequält hat, werden wir lange Tage auf günstige Winde warten müssen. Wir können es uns nicht leisten, am Schwimmsteg zu bleiben, unser Budget ist nicht für lange Hafentage ausgelegt, doch es besteht keine Möglichkeit, die hohen Kosten durch Ankern einzusparen, denn der Ankerplatz ist Richtung Osten offen und die brechende See steht herein. Der billigere Fischereihafen ist voll, der Hafenmeister erlaubt es jedoch, dass wir außen, an der südwestlichen Seite des Hafens, an der Mole festmachen, will dafür allerdings einen Viertel des Hafengelds kassieren. Wenig berauschend, außen liegen…
Wir streifen unser Ölzeug über, wandern im Hafen herum, betrachten die Mole und überzeugen uns vom Wetter. Shit. Vor der Hafeneinfahrt stehen die ersten Brecher rein, das Wasser schlägt über die östliche Mole und ergießt sich in den Hafen. Draußen arbeitet noch die Strömung gegen den Wind, vor der Inseln ist das Wasser weiß! Regen peitscht uns ins Gesicht und die Skipper der anderen Yachten sind verwundert, dass wir überhaupt ans Auslaufen denken. Dennoch, für draußen sind 20 Knoten gemeldet – guter frischer Wind, der uns flott in den Nordwesten bringen sollte…
Keinen Bock auf Starkwind. Oder? Ach was soll ́s – was sollen wir hier in Pirowall für die kommenden Tag anfangen. Aus mit dem Gezettere. Am Nachmittag laufen wir aus. Froh, eine Entscheidung getroffen zu haben, riggen wir La Belle Epoque um. Ich schlage die Genoa ab, gemeinsam schaffen wir sie ins Vorschiff. Jürgen riggt das Sturmstag und bindet vorsorglich zwei Reffs ins Groß, während ich die Arbeitsfock anschlage. Ein bisschen mulmig ist das Gefühl schon, sich so sehr auf den Wetterbericht zu verlassen, obwohl die Gischt über den Hafen fliegt.
Pünktlich zur umfallenden Tide laufen wir aus. Jürgen dampft in die Heckleine, um den Bug vom Steg frei zu bekommen und nicht auf die anderen Yachten gedrückt zu werden. Das Manöver klappt problemlos und trotz Winddruck im Rigg kommt La Belle Epoque frei. Auch der Hafenmeister ist im Ölzeug gekommen, um zu helfen, falls wir in den Hafen gedrückt werden. Doch keine Sorge, wir kennen La Belle Epoque schon längst gut genug und wissen, wie der Langkiel ohne Bugstrahler zu handhaben ist.
Vorm Hafen drehe ich den Bug in den Wind, das dritte Reffauge im Groß schlägt noch einmal lautstark gegen das Steuerhaus und schon setzt Jürgen das Groß durch. Aus der Bucht müssen wir allerdings unter Motor, es geht nur mit 2 bis 3 Knoten gegen den Wind, egal wie eilig wir es haben, zum engen, von der Tide geplagten Fahrwasser zwischen den Orkneyinseln zu kommen. Doch wir schaffen es rechtzeitig. Noch geht die Tide mit uns, wenn auch etwas schnell: mit 11 Knoten surfen wir über die weiße See, während die Brecher aufs Deck schlagen. Schade, ich hab vergessen, die Kamera auf Deck zu montieren… Sicherheitshalber lasse ich den Motor noch laufen, falls uns die Strömung in Richtung der vielen Untiefen drückt, dürfen wir keine Zeit verlieren.
Doch der Spuk ist schnell vorbei. Schon ziehen uns Fock, Klüver und gerefftes Groß weiter und die Orkneys verschwinden im Regen. Geschafft. Wir sind am offenen Nordatlantik. Um Kräfte zu schonen, beginnen wir gleich mit der Wacheinteilung: Jürgen verschwindet in die Koje, nachdem er sich versichert hat, dass mir nichts fehlt. In dem ganzen Stress haben wir allerdings vergessen, das Ruder der Aries – der Windsteueranlage – zu riggen, eine Arbeit, die bei diesem Seegang so gut wie unmöglich ist. Egal, dann steuern wir eben von Hand, es ist ja nicht so weit.
La Belle Epoque zieht mit sieben bis acht Knoten dahin, bei Halbwind und wirrer See macht sie sich gut, wenn auch die Böen das Steuern zur Schwerstarbeit machen. Denn in den Böen ist La Belle Epoque hoffnungslos übertakelt, dennoch wollen wir die Segelfläche nicht reduzieren. Sollte das Tiefdrucksystem über Irland doch noch in den Norden gehen, wollen wir so schnell wie möglich aus seiner Bahn kommen. Jeder Meter zählt!
Wir wechseln uns am Steuer ab, fahren eine warme Koje, schlürfen Tee und knabbern Knäckebrot. Ich hatte im Hafen keine Zeit mehr, einen zünftigen Eintopf vorzubereiten und jetzt, ja jetzt fehlt mir die Lust, mich mit Händen und Füßen in der Pantry fest zu krallen. Nein danke, dann lieber eine Jause! La Belle Epoque schießt über den Nordatlantik, lässt sich nicht beeindrucken von der konfusen Kreuzsee, die uns plagt. Immer wieder zeigt das GPS 10 Knoten Fahrt, wir müssen günstige Strömungen haben.
Die Nacht vergeht schnell, kein Wunder, ist es doch nur noch zwei bis drei Stunden dunkel. Wir passieren das Ölfeld und müssen etwas abfallen, um klar zu bleiben. Jürgen schüttelt ein Reff aus dem Groß, auch wenn nach wie vor starke Böen über uns herfallen, wir wollen schnell sein. Aus der dunstigen Morgendämmerung taucht ein Frachtschiff auf. Obwohl es schon relativ nahe ist, ist der rote Rumpf nur kaum zu sehen und wirft eine eigenartige Illusion auf. Das, im Seegang stampfende, Schiff macht den Eindruck, als würde es sich kaum bewegen. Ich überfliege die Seekarte. 800 Meter Wassertiefe – nein, der kann unmöglich vor Anker liegen. Selbst mit dem Fernglas kann ich keine Lichter ausmachen. Kommt der auf uns zu? Ja, ich denke schon und greife zum Funkgerät. Ich gebe meine Position durch und rufe nach dem Frachtschiff. Der Kapitän bittet mich, den Kurs zu ändern, er wäre in der Ansteuerung zum Ölfeld. Na gut, ein Fußgänger streitet wohl auch nicht mit einem LKW um seinen Vorrang und schon falle ich noch ein wenig ab. Zum Glück dauert es nicht lange, bis ich sein Heck sehe und wieder auf Kurs gehen kann. Bei den derzeitigen Bedingungen will ich nicht zu viel Höhe verlieren.
Pünktlich um drei Uhr nachmittags schreiben wir die Position auf: traumhaft: wir haben unser bisher schnellstes Etmal gesegelt: 160 Seemeilen in 24 Stunden. Nun ist es nicht mehr weit, wir werden noch am selben Abend auf den Færø Inseln ankommen. Nicht nur, dass wir uns freuen, in einen gemütlichen Hafen zu kommen, sondern kommen wir auch zur Tide genau richtig. Denn bei der Geschwindigkeit schaffen wir es, mit dem Strom die Südinsel zu erreichen. Traumhaft. Der Wetterbericht am Morgen hat ausserdem gezeigt, dass das Tiefdrucksystem noch – wie gestern gemeldet – mit dem Zentrum über der Irischen See steht. Der Ostwind wird noch den restlichen Nachmittag und auch die kommende Nacht bleiben, erst morgen wird der Wind Richtung Nordost drehen.
Unsere Entscheidung zum Auslaufen war richtig. Wir haben die Wettersituation gut beurteilt und dennoch die Überfahrt nicht auf die leichte Schulter genommen. Um 18:30 fällt der Anker in der gut geschützten Bucht von Tjaldavik auf Sudurøy, der südlichsten Insel der Færøs. Wir sind glücklich, auch wenn wir uns wie gerädert fühlen. Der Übersetzter war Knochenarbeit und während wir die Segel verstauen und den Anker überprüfen, überfällt uns bereits die Müdigkeit. Doch erst noch koche ich Spagetti und wärme ein Glas Sugo auf, welches ich letzte Woche eingekocht habe. Jürgen stellt zwei Bier auf den Tisch, wir haben Grund zum Feiern. Im Intermar Abendnetz habe ich bereits von unserer Reise erzählt und eine Positionsmeldung
ist gesendet, damit sich auch niemand Sorgen um uns machen braucht. Ich versuche, den Hafenmeister von Tvøroyri zu erreichen um uns anzumelden, immerhin müssen wir erst auf den Færø einklarieren. Der ist jedoch heute nicht mehr im Dienst. Egal, morgen ist auch ein Tag.
Wir fallen in die Koje und schlafen 14 Stunden durch. Zum Glück schaffen wir es am folgenden Tag noch gerade rechtzeitig in den Hafen von Tvøroyri, bevor der freundliche Zöllner ins Wochenende geht! Willkommen auf den Faroe Inseln – fühlt euch wohl und bleibt so lange ihr wollt!