Zusätzlich zu den generellen Windsystemen der Erde – wie zum Beispiel den Passatwinden – und den großräumigen Wettergeschehen mit seinen Hoch- und Tiefdrucksystemen und den dazugehörigen Winden, gibt es noch Windeffekte an der Küste: Wind- und Wettererscheinungen, welche durch die Topografie, durch einen Küstenverlauf oder andere Faktoren entstehen können. Gerade an den Küsten kann es zu ausgeprägten Windeffekten kommen, die der Segler kennen sollte, um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein, einen geschützten Ankerplatz wählen, oder um den Törn um gefährliche Kaps planen zu können.
Land- und Seewind sind wohl die bekanntesten Winderscheinungen an der Küste und wahrscheinlich kennt fast jeder Segler die durch Seewind hervorgerufenen Quellbewölkung über der Küste -oder über Inseln – an einem warmen, sonnigen Tag. Sie entsteht bei der Aufwärtsbewegung der über Land erwärmten Luft und kann den Segler schon viele Stunden, bevor das eigentliche Land in Sicht kommt, einen Anhaltspunkt zur Navigation geben.
Doch nicht nur eine Quellbewölkung über der Küste bewirkt diese aufsteigende warme Luft über Land, die kalte Luft über der See beginnt, entstandenen Unterdruck an Land auszugleichen und nach der morgendlichen Windstille setzt schon bald eine Seebrise ein. Je nach Gebiet kann dieser auflandige Wind von einer kaum merklichen Briese bis hin zu frischen Wind bis 6 Beaufort blasen, wobei die Seebriese am frühen Nachmittag seine Höchstwerte erreicht. Dieser Wind kann das Küstengebiet bis 5sm weit nach See beeinflussen und je nach vorherrschender Wetterlage und Windrichtung eine Windverstärkung oder Windabschwächung hervorrufen. Gerade bei sehr starken auflandigen Wind ist es deshalb ratsam, bei Erreichen des Küstengebietes zur Mittagszeit mit stürmischen Wind zu rechnen.
Über die Nacht dreht sich der Vorgang um: das Meer kühlt nicht so schnell ab wie das Land, die wärmere Luft über dem Wasser steigt auf und kalte Luft von der Küste strömt nach – Landwind setzt ein.
Doch nicht nur durch Einfluss des Seewindes muss mit Windzunahme bei auflandigem Wind gerechnet werden. Durch Reibung wird die Luftbewegung über Land abgebremst und leicht rückgedreht, es entsteht ein „Luftstau“ vor der Küste. Dieser Effekt wiederum führt zu Windzunahme direkt an der Küste in einem Bereich von 3sm bis 5sm Seemeilen seewärts. Dank dieses Phänomen werden nicht nur die Windgeschwindigkeiten angehoben, sondern die allgemeine Wetterlage ist bei auflandigem Wind an der Küste verschlechtert: bei Schauerwetterlage werden die Schauer an der Küste verstärkt, bei Schönwetter stehen Wolken im Küstenbereich, bei Gewitter kracht es an der Küste.
Bläst der Wind allerdings ablandig, entsteht parallel zur Küste eine windarme Zone, es kann sogar zu einem Flautenloch oder zu Wind aus entgegengesetzter Richtung kommen. Gerade bei unstabiler Wetterlage und entlang von hohen Küstenerhebungen kann dieser auflandige Wind entsprechend böig ausfallen. Findet der Segler also direkt unter der Küste Flaute, kann der Versuch, ein paar Seemeilen hinaus zu steuern durchaus Erfolg bringen.
Bläst der vorherrschende Wind parallel zur Küste, werden die Isobaren entlang der Küste wiederum durch Reibung gedrängt – es entsteht ein Starkwindband. Besonders ausgeprägt sind diese Erscheinungen entlang von hohen Küsten, von Klippen oder gar Bergketten.
Hohe Küsten haben allerdings noch viele weitere Windeffekte zu bieten:
So erzeugen hohe Kaps im See Wirbelzonen, während direkt am Kap eine Windzunahme bemerkbar ist, wenn das Kap quer zur vorherrschenden Windrichtung liegt. Segelt die Yacht nun ohnehin schon in Starkwind, sollte der Kurs in weitem Bogen um ein Kap gewählt werden, denn die Windzunahme am Kap kann einige Beaufort betragen.
Interessant können auch Windeffekte sein, die sich entlang Gebirgsformationen bilden. So zum Beispiel kann Luft aus hohem Bergplateau durch kaltes Wetter rasch verdichtet werden, um als kalte und starke Fallwinde die Berge herunter zu jagen. Oder aber Wind wird an der Leeseite einer Bergkette aufgestaut, bricht dann mit erhöhter Kraft über die Berge und komm als Fallwind auf der Luvseite der Berge herunter. Fallwinde können sehr stark sein und Orkan-Geschwindigkeiten erreichen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Bora in der Adria. Sie entsteht, wenn sich kalte Luft über slowenische oder bosnische Berge aufbaut.
Derartige Fallwinde können aber auch kleine, lokale Gebiete betreffen und fast jeder, der schon mal dicht unter einer hohen Küste gesegelt ist, hat mit ihnen Bekanntschaft gemacht. Berühmt für seine lokal begrenzten Fallwinde sind zum Beispiel die Fjorde von Patagonien, wo Winde mit Orkanstärke von den Bergen wehen. Einheimischen nennen diese Winde Rachas, unter Segler sind sie auch als Williwaws bekannt.
Zwischen Bergen oder auch entlang von Flussbeeten können Flurwinde entstehen: die Isobaren werden an Engstellen zusammen gedrängt und der Wind nimmt zu. Gerade
in Fjorde, oder zwischen Inseln, lassen sich derartige Flurwinde gerne beobachten.
Eine interessante Kombination aus diesen beiden, letztgenannten Winden, dem Fallwind und dem Flurwind, ist vielen Mittelmeerseglern als „Mistral“ bekannt: Wenn sich über Frankreich im Winter oder Frühling eine Hochdruckzone ausbildet, baut sich kalte Luft über den Zentralalpen auf. Diese kalte Luft fließt die Hänge der Alpen hinunter und wird durch das Rheintal gedrückt, wobei hier die Isobaren gedrängt werden und der Wind damit noch einmal zulegt. Der daraus resultierende Mistral kann in Form von Starkwind einige hundert Kilometer die Schifffahrt im Mittelmeer erschweren.