Während unserer Jahre unterwegs auf den Weltmeeren haben wir vermehrt erlebt, das Segelyachten auf Riffe enden oder durch Kollisionen verloren gehen. Die meisten Fälle, die uns bekannt wurden, erlebten das Unglück während der nächtlichen Segelstunden. Und während es sich bei der einen oder anderen gestrandeten Yacht einfach um einen Unglücksfall handelte, so ist in anderen Fällen doch bekannt, dass der Wachhabende eingeschlafen war oder dass die Segelcrew ganz einfach auf das Einhalten von Wachen verzichtet hatte.

Wir kennen viele segelnde Freunde, die absichtlich auf die nächtliche Wache verzichten und gerade mal alle Stunden oder so einen Blick über den Horizont wagen, während ihre Yacht über das schwarze Wasser jagt. Und auch wenn diese lockere Herangehensweise verlockend scheint, wenn man wochenlang über einen scheinbar leeren Pazifik segelt, so darf man sich letzten Endes auch nicht wundern, wenn dann doch mal was schief geht. Segelt man nicht alleine, ist es einfach nicht nötig, das Risiko einzugehen. Hat man erst einen Rhythmus gefunden ist es leicht, die eigene Wache nicht nur durchzustehen, sondern auch Nachts aktiv sein Boot zu segeln und genügend Ausschau zu halten. Und erst dann kann man erleben, wie schön die Nacht eigentlich ist und auf welche grandiose Weise die nächtlichen Segelstunden unser Leben als Blauwassersegler bereichern.

Und so haben wir in all den Jahren Fahrtensegeln sowohl an Bord von IRISH MIST als auch an Bord von LA BELLE EPOQUE noch keine nächtliche Seemeile zurückgelegt, ohne dabei auch einen von uns auf aktiver Wache zu wissen. Allerdings hat sich unser Wachrhythmus über die Jahre geändert.

Gleich geblieben ist unsere abendliche Routine bevor es zur Wache geht: Wir verbringen die letzten gemeinsamen Stunden in der Regel mit einer Tasse Tee im Steuerhaus, nachdem wir das Boot für die Nacht vorbereitet haben und die letzten Wetterdaten durchgegangen sind. Gegen neun Uhr Abends verabschiedet sich Jürgen und verschwindet in der Koje, ab nun liegt es bei mir, La Belle Epoque alleine durch die halbe Nacht zu führen.

Früher haben wir die Wache auf einen Rhythmus von drei Stunden gefahren. Mit zunehmenden älter werden mussten wir aber
einsehen, dass uns die kurzen Stunden Schlaf nicht mehr genug Erholung bringen und so haben wir unseren Wachwechsel geändert. Seit einigen Jahren fahren wir einen Wachwechsel von mindestens fünf Stunden und stellen so sicher, dass die Freiwache genügend Schlaf bekommt. Das heißt, dass ich nun mindestens bis zwei Uhr Morgens wach bleibe und die Schiffsführung übernehme. Diese Einteilung hat sich bei uns fast von selbst ergeben, da ich Abends gerne lange wach bleiben und Jürgen dagegen in den frühen Morgenstunden aktiver ist als ich.

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In der Regel verbringe ich meine Wache im Steuerhaus, in den Tropen auch hin und wieder im Cockpit. Bin ich um zwei Uhr morgens nicht zu müde, hänge ich noch etwas Zeit an, um Jürgen länger schlafen lassen zu können. Die restlichen Nachtstunden gehören ihm. Auch er wird nun mindestens fünf Stunden auf Wache verbringen, während ich in der Koje schlafe. Tagsüber sind unsere Wacheinteilungen weniger strickt. Morgens legt sich Jürgen nochmal für zwei oder drei Stunden in die Koje, dann wird gemeinsam gefrühstückt. Am späten Nachmittag verziehe ich mich für ein paar Stunden, um ausgeruht meine Nachtwache zu starten.

Doch die Einteilung alleine macht noch keine gute Wache. Wir haben uns selbst ein paar Regeln aufgestellt. Der Wachhabende hat nicht nur die Verantwortung, das Schiff sicher zu führen und regelmäßig den Horizont auf Lichter abzusuchen, sondern kümmert sich auch darum, dass der Schlaf der Freiwache möglichst nicht gestört wird. Klappernde Falle oder schlagende Schoten müssen sofort ruhig gestellt werden und die Aries muss so justiert werden, dass das Boot so gleichmäßig und ruhig wie möglich durch die Nacht gleitet. Ruhige Musik stört unseren Schlaf nicht, so läuft das Radio meist die Nacht durch, während die Funkgeräte etwas zurückgedreht werden. Praktisch für den Wachhabenden können auch Hörbücher sein. Sie helfen, wach zu bleiben während man über den Horizont blickt.

Eine der größten Ängste an Bord ist es, eines Tages aufzuwachen und sich alleine an Bord zu finden. Dieser Gedanke kann der Freiwache aus Sorge den Schlaf kosten. Früher hatten wir die Regel, dass während der Nacht keiner ungesichert an Deck gehen darf. LA BELLE EPOQUEs Deck ist so konzipiert, dass die Möglichkeit des Überbord-Gehens in ruhigem Seegang verschwindend klein ist. So haben wir die Regel nun verändert: in rauem Segelwetter ist es nun Regel, dass keiner an Deck gehen darf, ohne den zweiten vorher zu Wecken. Das heißt auch, dass wir in Erwartung auf Windzunahme ab und zu schon vor Wachbeginn oder zum Wachwechsel die Segel gemeinsam kürzen.

Ist nun unnötiger Lärm an Bord ruhig gestellt und läuft die Yacht selbständig dahin, besteht die Arbeit des Wachgehenden aus Ausschau-Halten. Wir haben beobachtet, dass ein Frachtschiff maximal 15 Minuten benötigt, um von der ersten Sichtung am Horizont gefährlich nahe zu kommen. Deshalb machen wir alle 10 Minuten einen Rundblick. Verbringt man die restliche Zeit mit Lesen, ist es wichtig, den Augen genug Zeit zu geben, um sich auf die Dunkelheit der Nacht auch einzustellen und so kleine Lichter am Horizont zu erkennen. Auch macht es einen Unterschied, ob man durch Scheiben blickt oder den Kopf ins Freie steckt. Das gilt auch für offene Cockpits mit Sprayhoods. Jedes Licht beeinflusst die Nachtsicht und bei dem Absuchen des Horizonts muss sichergestellt sein, dass kein Licht der Elektronik stört.

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Überfällt einem von uns auf Wache die Müdigkeit, wird eine Eieruhr gestellt, um sicher zu gehen, nicht einzuschlafen. Auch wenn wir beigedreht vor einem Riffgebiet warten, hilft die Eieruhr, den Wachrhythmus aufrecht zu erhalten.

Bin ich mir nach der Sichtung eines Schiffes über dessen Kurs und einer möglichen Kollision nicht sicher, warte ich nicht länger, sondern funke das betreffende Schiff an. Mittlerweile haben wir ein AIS an Bord und so kann ich die Schiffe mit Name und Rufzeichen anrufen, allerdings haben sich die meisten Schiffe auch vorher auf meine Rufe gemeldet. Ich gebe meine Position und Kurs durch und erfahre im Gegenzug vom Schiff, auf welcher Seite sie mir begegnen werden. So kann ich frühzeitig nötige Segelmanöver erledigen oder zumindest beruhigt beobachten, wie das betreffende Schiff durch die Nacht steuert.

Werden die Nachtstunden lang, hilft manchmal der kalte Wind im Cockpit oder auch ein Müsliriegel und die restliche Wache durch zu halten. Auch verbringe ich dann gerne Zeit damit, über irgend ein Thema nachzudenken. So sind schon einige Ideen zu meinen Berichte auf dieser Homepage während etwas zu langen Nachtstunden entstanden.

Die Freiwache muss während dessen versuchen, so viel Schlaf wie möglich zu bekommen. Auf Freiwache während der Nacht wird bei uns an Bord also nicht gelesen, sondern versucht, so schnell wie möglich einzuschlafen. Jürgen ist empfindlicher auf Lärm als ich und schläft daher mit Ohrstöpsel (ich kann ihn dennoch mit einem Ruf vom Steuerhaus aus wecken, wenn Not am Mann ist). Ich schlafe meist recht leicht ein, ist es dennoch zu laut oder unruhig, helfen mir hin und wieder ein paar einfache Atemübungen.

Ist man ein paar Tage unterwegs, gewöhnt sich der Körper an den neuen Rhythmus und die bleierne Müdigkeit und Schwere der ersten Tage verfliegt. Deshalb verzichten viele eingefleischte Blauwassersegler auf kurze Zwischenstops auf kleinen Inseln. Wir sind dafür allerdings meist zu neugierig und unterbrechen Nonstop-Fahrten gerne für das Erlebnis von Landbesuchen!

Sonnenuntergang

2 Kommentare

  1. Auch wir sind mit der Zeit auf die gleiche Wacheinteilung gekommen. Erleichternd kommt bei uns auch der Vorteil zu Gute, dass wir von innen den Überblick haben. Wir sehen vom Salon aus unter der Genua durch den ganzen Horizont.
    Steuern können wir von innen nur über den elektrischen Autopilot. Das Gross reffen machen wir zu Zweit, Genua oder Kutter reffen wir alleine.
    Wegen den Frachtern habe ich keine Bedenken. Wir begegneten bis jetzt noch keinem der ohne AIS unterwegs war. Sogar die chinesischen Fischfabriken sind mit einem AIS unterwegs.
    Bedenken habe ich wegen den Langfahrtsseglern, welche immer noch der Meinung sind, dass sie kein aktives AIS brauchen. Es genüge ja, wenn sie mit dem pasiven AIS sehen was kommt. Ich traue denen einfach nicht und mein Bild ist zudem, dass es auch eher die sind, welche aus spargründen mitten auf See in der Nacht keine Navigationsbeleuchtung einschalten und paar Euro für einen guten Radarreflektor sparten.
    Lieber Gruss aus unserer Viruswartezone Honolulu

    • Hallo Hansueli,
      du hast recht, Schiffe ohne AIS Aussendung werden immer weniger und es ist praktisch, am Bildschirm die Kurse und Geschwindigkeiten der Schiffe rundum zu sehen. Dennoch gehören wir nicht zu den Crews, die sich auf das AIS verlassen. Wir halten Ausschau und schalten im Zweifelsfall das Radar dazu. Und so haben wir an Mexikos Küste eine Kollision mit einem unbeleuchteten Fischereipanga in letzter Minute verhindern können. Im Südmeer sind uns außerdem große Fischkutter ohne AIS Kennung entgegen gekommen. Ob legal oder illegal, dort wird gelegentlich die AIS Aussendung abgeschaltet, um der Welt nicht zu zeigen, wo der Fisch zu hohlen ist.
      Zweimal haben wir bisher losgerissenem, unbeleuchtete und treibende Wettertonnen begegnet (eine davon Nachts, die wir zum Glück um wenige Meter verpasst haben), und an Neuseelands Küste hatten wir eine Kollision mit einem Baumstamm (und dass obwohl wir gerade von Handgesteuert haben und bei Tageslicht). Zugegeben, mit unserem Radar hätten wir sowohl die Tonnen wie auch den Baumstamm gesehen.

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