Eine Ketsch als Blauwasseryacht

Wie so viele andere Segler auch, lernten wir an Bord einer Slup das Segeln und konnten vor unserer derzeitige Hochseeyacht kaum Erfahrungen mit mehrmastigen Booten sammeln. Bei der Suche nach einer größeren Blauwasseryacht viel unsere Wahl auf eine Ketsch. Mit der Begründung, dass ich als schwächstes Bordmitglied das Großsegel auch ohne anfälliger Technik im Griff haben will. Da unsere LA BELLE EPOQUE allerdings ein besonders hohes Rigg trägt und somit ihr Großsegel in keiner Weise kleiner ist als jenes einer Slup mit 13m, stellte sich dieses Auswahlkriterium im Nachhinein betrachtet als der geringste aller Vorteile heraus.

Als weitere Gründe für die Ketsch hört man hin und wieder den vermeintlichen Vorteil, dass der Besan als Geräteträger verwendet werden kann oder dass der Besanmast als Notrigg bei Verlust des Großmast benützt werden kann. Doch diese zwei Gründe spielen für uns ebenfalls keine oder nur eine untergeordnete Rolle: Mit Ausnahme des Radars wollen wir keine Geräte im Mast fahren. (Für ein paar Jahre hatten wir einen Windgenerator am Besanmast montiert. Das hat sich für uns nicht bewährt: Der Mast übertrug zu viel Geräusch auf unsere Schlafkabine darunter und der Windgenerator lief ständig Gefahr, die Dirk des Großbaums oder das Fall des Besans zu „fressen“.) Und wer dennoch den Besanmast mit Antennen und Generatoren voll packt – ein voll einsatzfähiger Mast ist in Wahrheit die teuerste aller Möglichkeiten für einen Geräteträger.

In dem Fall, dass unser Großmast brechen würde, ist es wahrscheinlich, dass unser Besanmast Schaden nimmt, da er per Genickstag mit dem Großmast verbunden ist.

Nach vielen Jahren Blauwassersegeln mit unserer Ketsch LA BELLE EPOQUE in den unterschiedlichsten Seegebieten sind wir heute dennoch mit unserer Wahl einer Ketsch sehr zufrieden. Also wo genau liegen nun unsere Gründe für die Ketsch?

Der wohl interessanteste Vorteil einer Ketsch liegt in ihren Trimm-Möglichkeiten. Neben den (verhältnismäßig geringen) Vortrieb, den das Besansegel auf Halbwindkursen (Raumschotkursen) bringt, verbessert es vor allem die Kursstabilität der Yacht. Eine gut konstruierte und getrimmte Ketsch kann sich längere Zeit selbständig auf Kurs halten. Am ersten Blick mag das für moderne Blauwasseryachten irrelevant sein, da sie großteils mit elektrischen oder hydraulischen Selbststeueranlagen unterwegs sind. (Windgesteuerte Selbststeueranlagen funktionieren in der Regel nur bei relativ gut getrimmten Yachten.) Die Einstellung, dass moderne Technik guten Segeltrimm unnötig macht, ist unserer Meinung nach verwerflich. Wir haben über die Jahre Yachtcrews getroffen, die nach einem Ausfall des elektrischen Autopilots unterwegs massive Probleme hatten, ihre Blauwasseryacht auf Kurs zu halten. Dabei handelte es sich immer um Einmaster, die entweder nicht ausreichend getrimmt werden konnten um halbwegs kursstabil zu laufen, oder deren Crew selbst nach tausende Seemeilen nicht viel von Segeltrimm verstand. Es mag wohl wahr sein, dass sich selbst eine schlecht getrimmte Slup auf Blauwasserfahrt mit Technik aushelfen kann, aber schlussendlich darf man sich in solche Fälle über einen Ausfall der Technik nicht wundern.

auch interessant...  Gratis Reisebuch: Im Reich der Eissturmvögel

Aber mit der Kursstabilität bei Halbwindkursen sind die Trimmmöglichkeiten einer Ketsch noch lange nicht ausgeschöpft. Wird zum Beispiel das Besansegel am Wind anstelle des Großsegels gefahren, kann etwas mehr Höhe gekniffen werden. Vorm Wind ist zwar der Besan nicht im Einsatz, trotzdem zeigt das Rigg seine Stärken: Durch den weiter vorne stehenden Großmast läuft eine Ketsch besonders gut platt vorm Laken. Viele Slup-Segler streichen vorm Wind das Großsegel und helfen sich mit Passat-Segel oder Genaker, Blister oder ähnliche Leichtwindsegel. Allerdings rollen Einrumpf-Yachten fürchterlich im Seegang, sobald ihr Großsegel gestrichen ist. Uns erscheint das Rollen vorm Wind mit unserer Ketsch nicht ganz so stark. Und wenn es uns doch einmal zu viel rollt, können wir immer noch den dichtgeholten, zweifach gerefften Besan setzen. Selbst entlang der Passat-Route über den Pazifik hatten wir nicht einmal das Gefühl, dass wir mit Passatsegel besser dran wären.

Interessant wird die Ketsch auch im Starkwind. Gegen starken Wind wird auf Ketschen gerne das Großsegel gestrichen und der gereffte Besan gefahren. Und an Bord mancher Ketschen eignet er sich gut zu beidrehen, da er der Yacht hilft, ihren Bug steiler in den Wind zu halten. Allerdings müssen wir sagen, dass dies an Bord von LA BELLE EPOQUE nicht der Fall ist. Wir haben das Beidrehen unter Besan getestet. LA BELLE wird von ihrem Besansegel zu sehr in den Wind gedrückt, geht schließlich durch den Wind und rutscht dabei rückwärts die Sturmsee runter. Damit ist für uns das Beidrehen unter Besan unmöglich, es würde früher oder später zu Ruderbruch oder Kenterung führen. Dennoch hat sich die Ketsch für uns als ideales Rigg zum Beidrehen und damit für Schwerwettersegeln gezeigt: Durch die Position des Großmastes lässt sich LA BELLE EPOQUE alleine unter gerefftem Groß beidrehen. Kein Vorsegel muss back gestellt werden um die Yacht stabil mit 30 bis 40 Grad gegen den Wind zu legen. Damit haben wir weder Probleme mit Schamfilen an den Segeln (das gereffte Groß ist dichtgeholt und kann nirgends schamfilen) noch mit zu großen Segelflächen (wir können unser Großsegel bis ins vierte Reff verkleinern).

auch interessant...  Partnerschaft an Bord - Teil 3 - Gemeinsam träumen, gemeinsam wachsen

Auch am Ankerplatz kommt bei uns der Besan regelmäßig zum Einsatz. In vielen schwellgeplagten Ankerplätzen bleibt bei uns der gereffte Besan auch vor Anker gesetzt. Dichtgeholt stabilisiert er das Boot und macht das Leben an Bord angenehmer.

Immer wieder wird das zusätzliche Gewicht des Besanriggs als Gegenargument gebracht. Allerdings scheiden sich dabei die Geister. Denn ein schweres Rigg dämpft die Schiffsbewegung und kann so sogar die Seegängikeit einer Yacht verbessern. Desahlb kann man unserer Meinung nach maximal die erhöhte Windangriffsfläche des Ketschriggs als Nachteil sehen.

Als weiterer Nachteil ist natürlich zu sagen, dass ein Ketschrigg vergleichbar teuer ist. Immerhin fährt die Ketsch einen zusätzliche Mast mit stehenden und laufenden Gut und einem extra Segel. Vermutlich ist dies auch der Hauptgrund, weshalb heute Großserienyachten ausschließlich als Slup mit abgespeckten Rigg gebaut werden (sie sind unterwegs allerdings auch jene Yachten, welche wir mit den meisten Riggbrüchen erlebt haben.) Manchmal hört man noch die Anschauung, dass Blauwassersegler „zu viel Rigg“ über die Meere tragen, was unserer Erfahrung nach allerdings entweder von wenig Erfahrung oder von wenig objektiver Beobachtungsgabe zeugt. Wir mussten über die Jahre erschreckend viele Mastbrüche und Rigg-Schäden an Bord befreundeter Yachten mitansehen. Dabei handelte es sich ausschließlich um moderne, leichte Riggs. Egal ob Slup, Ketsch, Schoner oder Jawl, eine Yacht an deren Rigg gespart wird, ist nicht für Blauwasserfahrt geeignet.

Auf die Frage also, ob die Ketsch heute noch eine gute Wahl für eine Blauwasserreise ist, können wir nach jahrelanger Erfahrung mit einer Slup sowohl mit einer Ketsch antworten: Ja, ein Ketschrigg ist nicht überholt und hat seinen Wert auf Langfahrt. Wir persönlich haben Freude an unserem Ketschrigg – und das nicht nur, weil es uns optisch gefällt. Allerdings können wir auch sagen, dass wir die Suche nach einer geeigneten Blauwasseryacht nicht auf die Ketsch beschränken würden. Wir sind nach wie vor auch Freunde des Einmasters. 

Vorsichtig würden wir allerdings bei umgebauten Riggs bleiben, speziell, wenn das Rigg einer Yacht ohne den Berechnungen eines Konstrukteurs verändert wurde. Nur wiederholtes Probesegeln und eine genaueste Kontrolle der veränderten Püttinge können hier vor Überraschungen bewahren.

Ob Slup oder Ketsch, essentiell auf Langfahrt bleibt für uns der Kutter und ein Rigg, das für die hohen Ansprüche der langen Reise auch dimensioniert ist. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert