Wie vermutlich viele Leser dieser Homepage ohnehin wissen, bin ich gemeinsam mit Jürgen seit 2010 an Bord unserer Stahlyacht LA BELLE EPOQUE zur ausgedehnten Segelreise mit offenem Ende unterwegs. An Bord leben wir seit 2009, da wir bereits ein Jahr vor Aufbruch der Reise das Boot in der Donau liegen hatten und frühzeitig eingezogen sind. Diese Reise ist unsere zweite große Segelreise, mit unserem ersten Segelboot IRISH MIST haben wir gemeinsam die Welt des Fahrtensegelns bereits 1998 und den Folgejahren kennen gelernt. Weder Jürgen noch ich hatten vor der Reise mit IRISH MIST Segelerfahrungen, von einem Segelkurs während meiner Schulsport-Woche und etwas Erfahrung beim Windsurfen auf Jürgens Seite einmal abgesehen. Aber wir haben unterwegs viel gelernt und vor allem begriffen, dass wir auf diesen Weg mehr erleben werden, als wir uns erträumen können.
Unser Aufbruch zu dieser zweiten Segelreise war für uns beide der logische Weg, denn wir haben diesen Lebensstil mit all seiner Einfachheit, seinen unzähligen Eindrücken und den ständigen Veränderungen lieben gelernt. Auch unsere Partnerschaft ist durch diese enge Verbindung und das gemeinsame Erleben unseres Alltags und unserer Abenteuer stetig gewachsen. Hin und wieder werde ich gefragt, ob es nicht schwer ist, auf so engem Raum zusammen zu leben und manchmal über Wochen nicht eigene Wege gehen zu können. Doch kann ich nichts dergleichen berichten. Ich habe über diesen Aspekt viel nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass ich eigentlich das Leben im österreichischen Arbeitsalltag durchaus als belastender für die Partnerschaft erlebt habe. In Österreich sind wir natürlich getrennte Arbeiten nachgegangen und haben uns in der Regel zum Frühstück, am späten Nachmittag zum Arbeiten am Boot, zum Abendessen und für den Abend/die Nacht gesehen. Im Vergleich zum Leben an Bord ist mir dies stets als sehr wenig aufgefallen, hatte ich doch den restlichen Tag mit Menschen verbracht, deren Gesellschaft ich mir in der Regel nicht aussuchen konnte. (Ich bin mit den meisten meiner Arbeitskollegen gut ausgekommen und ein ehemaliger Arbeitskollege von mir ist bis heute ein guter Freund geblieben, doch ist dies eben nicht das selbe als den Tag mit seinem erwählten Partner zu verbringen.) Auch waren wir oft tagsüber unterschiedlich gefordert und standen so Abends nicht am „selben Platz“, einer war mehr gereizt, der andere mehr gestresst, einer ist bereits auf die gemeinsamen Arbeiten konzentriert, der andere ist im Gedanken noch am Arbeitsplatz. Die Belastungen und Probleme in der Arbeit sind zumindest für mich oft genug nicht einfach „wegzuschalten“ gewesen.
Am Boot ist das gänzlich anders. Wir bewegen uns quasi in der selben Geschwindigkeit, erleben aufwühlende Momente gemeinsam und arbeiten im gleichen Rhythmus. Viele Menschen stellen sich vor, dass gerade die Zeit, während man einen Ozean übersetzt oder eine längere Passage segelt, die stärkste Zeit für eine Partnerschaft ist. Das kommt daher, dass man zu dieser Gelegenheit wirklich keinen Schritt von Bord kann, man ist ja auf einem weitem Meer „gefangen“ und den Belastungen des Segelns ausgesetzt. Ich persönlich erlebe gerade diese Zeit jedoch ganz anders: Es ist die Zeit, in der wir eigentlich am wenigsten miteinander zu tun haben. Das kommt daher, da in der Regel einer von uns schläft. Denn ja, als kleine Zwei-Personen-Crew ist ein weiter Segelschlag sehr anstrengend, vor allem, wenn man so wie wir immer wieder anspruchsvolle Segeletappen wählt. Unterwegs schlafen wir schlecht (Metallboote sind laut), werden gebeutelt von der Seekrankheit und vom Meer weichgeschüttelt. Die Arbeiten an den Segeln sind gerade im Seegang sehr anstrengend (LA BELLE ist mit ihren Stagreiter-Vorsegeln und handeingebundenen Reffs eben arbeitsaufwändig) und Navigation und Ausguck fordern Konzentration. Ich schreibe das nicht, um zu jammern (denn es gibt nichts zu jammern), sondern um aufzuzeichnen, wie unser Leben wirklich ist. Die gemeinsame Zeit unter Segel ist daher meist auf ein gemeinsames Frühstück bzw. Mittagsmahlzeit (generell „unsere“ Zeit an Bord) und auf Arbeiten, die uns beide erfordern (Spibaum setzen, nächtliches Segelwechseln, Reffen des Großsegels, Notfall-Reparaturen wie Segelflicken unterwegs) beschränkt. Unsere Partnerschaft rückt während Segeletappen daher eigentlich mehr ins Verhalten eines gut arbeitenden Teams als in das einer Ehe.
Das funktioniert allerdings ausschließlich deshalb, weil wir jede Form von Hierarchie an Bord ablehnen. Manchmal ist gerade dies für andere Segler unvorstellbar, da aus unverständlichen Gründen jedes Lehrbuch, jede Segelschule und alle Tradition davon spricht, dass ein Segelboot einen „Führer und Verantwortlichen“ braucht. Ich sehe ein, dass an Bord eines Regatta-Schiffs eine hierarchische Einteilung Vorteile bringt, an Bord einer Blauwasseryacht mit Familiencrew führt diese meiner Meinung nach allerdings ausschließlich zu Problemen. Denn eine Blauwasseryacht ist das Zuhause der Partnerschaft und alle Beteiligten müssen gleichermassen Verantwortung übernehmen. Diese Erkenntnis mag für viele Segler unverständlich sein und ich weiß, dass so mancher diese Einstellung sogar als „Gefährlich für die Schiffssicherheit“ sehen wird, doch denken wir einmal genauer darüber nach:
Würden Jürgen und ich die klassische Einteilung von Skipper und Crew führen, wo lägen die Vorteile und wo die Nachteile für uns und für unsere Segelleistungen (bzw. der Schiffssicherheit)? Ich beschreiben nun einfach mal das übliche Beispiel, dass der Mann, also Jürgen, der Skipper mit der Hauptverantwortung ist, während ich die Bordfrau, also die Crew, darstelle.
Beginnend bei der Verantwortung, die richtige Route und Aufbruchszeit zu bestimmen, würde bereits hier auf Jürgen erhöhter Druck liegen. Seine Einschätzung, welches Wetter zum Aufbruch genützt werden muss, gäbe den Ton an. Da es menschlich ist, Fähigkeiten und Wissen, welche man nicht benötigt zu vernachlässigen, würde ich mich früher oder später nicht mehr sonderlich anstrengen, über Wetterkunde und Routen mehr zu lernen. Ich würde dies nach und nach vernachlässigen, hätte es ja ohnehin keinen Sinn, meiner Meinung Platz zu schaffen. Als Folge daraus entsteht ein Abhängigkeitsverhalten, dass auf Jürgen Druck übt und darauf verzichtet, alle Ressourcen an Bord (meinen Kopf und mein Gefühl) zu nützen.
Kommt es unterwegs nun zu Problemen (wenn sich das Wetter nicht an den Bericht hält oder die Entscheidung zum Auslaufen eben nicht perfekt war,…), entsteht ein unausgeglichenes Gefühl im Team: Jürgen würde plötzlich den gesamten Druck seiner alleinigen Entscheidung spüren. Als Crew würden nun Ängste und Bedenken wachsen. Denn bei Crew entsteht in der Regel das Gefühl einer Art Hilflosigkeit über sein eigenes Schicksal und die Überlegung, ob man selber etwas besser gemacht hätte, schleicht sich irgendwann ein und breitet sich aus. Diese Hilflosigkeit käme zu einem großen Tiel auch daher, weil ich meine Fähigkeiten und mein Wissen über Wetterkunde und Routen nicht ausgebaut hätte, sonder den faulen Weg gegangen währe, alles auf Jürgens Verantwortung zu spielen. Das heißt, diese Hilflosigkeit ist in Wahrheit keine Gefühlsangelegenheit, sondern wird zur Tatsache. Mit meinen als Crew weniger entwickelten Fähigkeiten währe ich hilflos und abhängig. Jürgen würde mehr und mehr ein Einhandsegler werden, der zwar ein extra Augenpaar für die Wache an Bord hat, aber keinen zweiten Profisegler, auf den er sich verlassen könnte. Diese Entwicklung würde nicht nur zusätzlichen Druck auf ihn ausüben, sondern erfordern, dass sein Ego wächst, dass keinen Einspruch duldet, da dieser ja nicht professionell ist und die Verantwortung für das Handeln nicht trägt. Dieses Ungleichgewicht würde sich bald auf alle Gebiete des Segelns und selbst auf die Partnerschaft übertragen. Ein Gefühl des Vakuums entstünde, das mit zwischenmenschlichen Problemen aufwarten würde. Außer Nachteile ist für uns nichts gewesen!
Nun im Vergleich unsere Art, auf jegliche Hierarchie an Bord zu verzichten. Jürgen und ich sind gleichwertige Partner an Bord, die beide gefordert sind, ihre Fähigkeiten stets zu entwickeln und auf die zweite Meinung Rücksicht zu nehmen. Nehme ich also wieder das Beispiel von der Wahl der bevorstehenden Route und dem Zeitpunkt für den Aufbruch zu Hand, läuft das bei uns an Bord so:
Wir betrachten beide die Wetterdaten und überlegen, welche Möglichkeiten vor uns liegen. Bedenken werden dabei ausgesprochen. Diese Bedenken können nun nicht einfach übergangen werden, es muss eine Entscheidung getroffen werden, die diese Bedenken ausräumt (oder zumindest ins erträgliche Maß vermindert). Es entsteht ein kurzes Gespräch, Überlegungen werden geteilt. Dieses Gespräch führt dazu, dass wir Fehler in den einzelnen Überlegungen besser finden können und bevorstehende Risiken besser einschätzen können.
Längerfristig führt diese Herangehensweise auch dazu, dass wir uns selber besser kennenlernen. In unserem persönlichen Fall heißt das, dass sowohl Jürgen als auch ich weiß, dass ich vorsichtiger bin als er, aber dafür auch schneller reagiere. Durch dieses „selber besser kennenlernen“ entsteht ein Vertrauen, dass der Meinung des Partners mehr Gewicht gibt. Ich habe also dadurch gelernt, mehr Risiko zuzulassen und meine eigene Vorsicht kritischer zu betrachten. Jürgen hat gelernt, meiner Vorsicht Gewicht einzuräumen und meine Reaktion zu schätzen.
Unsere „Gleichheit“ führt auch dazu, dass wir beide gefordert sind Wissen anzuhäufen und Fähigkeiten aufzubauen. Kommt es unterwegs nun also zu Problemen (wenn sich das Wetter nicht an den Bericht hält oder die Entscheidung zum Auslaufen eben nicht perfekt war,…), entsteht ein ausgeglichenes Team: Wir sind beide für unsere Entscheidung verantwortlich und müssen nun unser Bestes geben, um das Problem zu bewältigen. Jeder trägt nun die selbe Verantwortung und kann sich gleichzeitig zu hundert Prozent auf den Partner verlassen. Gefühle stehen dabei nicht im Weg, da sie nicht aufgestaut sind.
Dieses Gleichgewicht zieht sich über alle Gebiete des Segelns und führt zu einer ausgeglichenen Partnerschaft. Das heißt allerdings auch, dass beide Partner erhöht gefordert sind. Für mich als Frau an Bord bedeutet das, dass ich nicht „Prinzessin“ spielen kann. Sich auf die faule Haut legen und zu denken „Das kann ich nicht“ ist nicht möglich (vorausgesetzt, die Arbeit überfordert meine körperlichen Fähigkeiten nicht).
Nicht, dass wir nun beide alles an Bord gleichermassen beherrschen müssen, das ist nicht nötig. Auch wir haben unsere Einteilungen, die sich sogar „klassischer“ ergeben haben als nun viele denken werden. Zum Beispiel gehört die Pantry zu meinem Bereich, ich koche gerne, während Jürgen diese Arbeit nicht schätzt. Richtiges Proviantieren und Stauen gehört zu meinen großen Interessen, bei der mich zwar Jürgen unterstützt (und dadurch genauso Wissen aufbaut als ich), aber sich auch auf mich verlässt. Werkstätte und Motorraum sind umgekehrt Jürgens Interessen. Das heißt, ich kenne mich ohne Einschränkungen aus und könnte unsere Technik sowohl warten als auch einiges davon reparieren, doch ich verlasse mich auf Jürgen. So wie sein Wissen in der Lebensmittelkunde von mir stammt, stammt mein Wissen in der Technik von ihm.
Für uns bringt diese Gleichberechtigung nur Vorteile. Der eine oder andere Segler wird sich allerdings nun denken, dass die „Entscheidungsfindung“ in dieser Gleichberechtigung problematisch viel Zeit in Anspruch nehmen kann und die schnelle Handlung an Bord verhindert. In der Praxis ist dies jedoch nicht der Fall. In der Regel ist Segeln eine sehr langsame Angelegenheit und eine kurze Besprechung vor einer Handlung ist immer von Vorteil, denn die Ausübung des Manövers verläuft dann reibungsloser und mögliche Fehler durch gestresste Reaktion werden verhindert. Ist allerdings doch einmal eine sofortige Handlung nötig, sind wir beide dieser fähig. Es muss nicht erst der Skipper geweckt werden, wir beides sind Profis und können unsere Handlung verantworten.
Über die Jahre haben sich durch unsere hierarchielose Herangehensweise unsere Fähigkeiten und Gefühle auf ein relativ gleiches Maß eingependelt. Zum Beispiel wählen wir beide eigentlich immer den gleichen Zeitpunkt, um die Segel zu reffen (Wir kennen aber auch beide LA BELLE EPOQUE gleich gut und sie lässt uns ohnehin wissen, wann es genug ist). Dass Einer von uns früher Reffen will als der Andere hatten wir glaub ich seit Jahren nicht mehr. Stressige Momente werden nicht auf den Rücken des einen getragen, es gibt kein anschreien, kein schmollen. Wir haben gelernt, mit den Reaktionen des Partners richtig umzugehen. Jürgen grinst höchstens darüber, wenn ich wieder mal (für ihn) übertriebenen Abstand von Untiefen halte oder am Ankerplatz eher weiter draußen als zu Nahe beim Land abstoppe. Ich vertraue darauf, dass sein gewählter (für mich) später Zeitpunkt zum Vorbereiten des Boots auf das Ankermanöver (also Segel einhohlen und den Anker vorbereiten) ausreicht. Auf den Partner einzugehen ist letzten Endes nicht zu viel verlangt.
Aus dieser Art der Bootsführung geht nun auch hervor, dass ich als Bordfrau LA BELLE EPOQUE auch alleine handhaben und sicher segeln könnte. Wird jemals der Fall eintreten, dass Jürgen zum Beispiel durch Krankheit oder Verletzung (oder was für Gründe auch immer) verhindert ist, werde ich nicht vor unüberwindbaren Problemen stehen. Ich bin mir zwar sicher, dass ich LA BELLE alleine vorausschauender und damit höchstwahrscheinlich langsamer segeln werde, aber das hat körperliche Gründe. Denn einige Aufgaben (wie das Reffen des Großsegels im Alleingang oder das Abschlagen des Spinnakerpols und Einholen der grossen Genoa) müsste ich vorausschauend bald vor einer Windzunahme erledigen, um mich nicht an meine Kraftreserven stoßen zu lassen. Das hat nichts mit Angst oder Vorsicht zu tun, sondern damit, das Jürgen bei weitem mehr körperliche Kraft hat als ich. Auch müsste ich die Segeletappen anders einteilen, denn alleine könnte ich kaum längere Strecken durchhalten, ohne dabei die Wache oder Schiffsführung zu vernachlässigen. Denn ich glaube nicht, dass ich die Fähigkeiten eines Einhandseglers habe.
Im Großen und Ganze hoffe ich natürlich, dass ich niemals die Situation, alleine zu segeln, erleben werden. Denn dazu habe ich keine Lust. Ich liebe unseren gemeinsamen Lebensweg und fühle mich wohl in unserer Partnerschaft.
Ein sehr, sehr schöner Artikel, dem ich inhaltlich aus der Praxis und dem partnerschaftlichen Leben an Land und an Bord in allen Details herzlich zustimme. Das ist Stoff, aus dem langjährige Partnerschaften gemacht sind.