In den letzten vier Teilen der Serie zum Sturmsegeln haben wir über die ersten Grundlagen nachgedacht, wie wir uns auf Schwerwettersegeln vorbereiten können.
Doch am wichtigsten bleibt es, nicht in Stürme zu geraten.
Und das kannst du nur schaffen, indem du dich mit dem Wetter so gut beschäftigst, dass du deine eigenen Entscheidungen zum Auslaufen machen kannst.
Gerade zu Beginn von langen Seereisen sind viele Fahrtensegler froh, wenn sie die Beurteilung der Wetterentwicklung abgeben können. Die Kenntnisse von erfahreneren Seglern kann manchmal bei der Routenplanung helfen. Auch die Zuhilfenahme eines professionellen Meteorologen (Wetterrouting) ist möglich.
Doch sollten sich Segler bewusst sein, dass Erfahrung anderer nicht immer heißt, dass deren Einschätzung auch für die eigene Routenplanung perfekt ist. Vor allem kann es gefährlich werden, wenn sich auf weit entfernten Ankerplätzen unter Seglern eine Gruppendynamik bildet.
Wettereinschätzung und Gruppendynamik
Wir schreiben Anfang Oktobern 2014. Langsam segeln wir entlang der Küste Kaliforniens und an Bord hat sich so etwas wie Urlaubstimmung ausgebreitet. Daran ist nicht nur der strahlende Sonnenschein oder die kaum spürbare Brise schuld. Das Urlaubsgefühl hat sich auch deshalb eingestellt, da wir etwas ziellos mit einem Überschuss an Zeit „herumbummeln“. Denn wir wollen nach Mexiko segeln und die optimale Segelzeit für dieses Revier ist noch nicht ganz erreicht.
Immer wieder treffen wir auf Yachten der bevorstehenden „Cruiser-Rally“ nach Mexiko: Der BaHaha! Entlang der nordamerikanischen Westküste ist diese Veranstaltung legendär und mittlerweile ist es bereits die 21. Rally, die unter diesem Namen veranstaltet wird. Dabei werden auch dieses Jahr wieder zu Saisonstart um die 150 Fahrtenyachten gemeinsam die Küste von Baha Kalifornien bis in den Golf von Kalifornien in den Süden segeln. Dabei werden sie eine Distanz von ungefähr 750 Seemeilen gemeinsam zurücklegen, unterbrochen durch zwei große Party-Stopps in Ankerbuchten entlang der Küste.
Wir selbst planen nicht, an dieser Rally teilzunehmen, aber dennoch macht es Spaß, die Updates der Rally mitzuverfolgen und ein paar teilnehmende Crews kennenzulernen. Crews, die wir in Mexiko wieder treffen werden, auch wenn wir planen, erst später im Jahr zu folgen.
Das Wetter ist zur Zeit noch unstabil, aber rechtzeitig zum Start der Rally zeigen die Wetterprognosen grünes Licht und die Yachten stechen in See. Nicht wissend, dass sie in nur wenigen Tagen bereits wieder gestoppt werden sollten.
Eine „tropische Depression“ formt sich
Noch während die Yachten ihre erste Etappe segeln, formt sich ein tropisches Tief Vance vor der Küste von Mexiko und nimmt Kurs Richtung Baha Kalifornien.
Natürlich beobachtet die Organistation der Rally das Wettergeschehen. Und es entgeht ihnen auch nicht, als das Tief zum tropischen Sturm wird. Es muss damit gerechnet werden, dass Vance weiter zum Hurrikan wächst. Doch die Flotte an Rally-Teilnehmer ist bereits unterwegs.
Die BaHaHa-Veranstalter wissen: Segeln die Yachten weiter in Richtung Süden, könnten sie direkt in einen Sturm segeln. Aber jetzt die Rally abzublasen hieße nichts anderes, als sämtliche Yachten im Stich zu lassen.
Umdrehen kaum möglich
So einfach und schön die Segelstrecke von der US-Westküste in den Golf von Kalifornien ist, so schwierig ist es, auf dieser Strecke umzudrehen. Entlang der Küste gegen Wind und Pazifikdünung unter Motor zu laufen, wäre vor allem für die kleineren, teilnehmenden Yachten eine Schinderei. Die geeignetste Etappe unter Segel zurück nach Kalifornien führt in weiten Bogen in den Nordwesten – in Richtung Hawaii. Und somit direkt in die Zugbahn nordziehender Hurrikane.
Die eigentlich einzige, sensible Alternative ist, die Rallyteilnehmer so weit im Norden von Mexiko zu stoppen als möglich. Damit fällt der Beschluss, den Zwischenaufenthalt der Flotte in der großen Ankerbucht von Bahia Tortuga zu verlängern. Anstelle der geplanten eintägigen Strandparty soll die Flotte für die nächsten Tage hierbleiben.
Ein Stopp, der allerdings gegen die zeitlichen Pläne vieler Teilnehmer arbeitet. Viele Yachten haben Mitsegler an Bord, deren Flugtickets zurück in die USA oder nach Kanada bereits gebucht sind. Auch kommen so manche Eigner in zeitliche Bedrängnis. Die Urlaubszeiten von amerikanischen Arbeitnehmern sind sehr begrenzt.
Ungeduld kommt auf
Gegen alle Vernunft kommt deshalb bereits bei diesem ersten, verlängerten Ankerplatzstopp Ungeduld auf. Einige Teilnehmer glauben zu wissen, dass der weiterhin verstärkende Sturm seine Zugbahn ändern wird und keine Gefahr bedeutet.
Vermutlich ist sich die Organisationsleitung die Unruhe in der Segelflotte bewusst. Auch hat sich bisher aus dem tropischen Tief Vance noch kein Hurrikan entwickelt. Nach zwei Tage Wartezeit mit ständiger Beobachtung des Sturms wird deshalb beschlossen, die Flotte ein Stück weiter in den Süden segeln zu lassen. Bahia Magdalena wird als nächster planmäßiger Treffpunkt vereinbart. Man hofft, dass bis dahin der Sturm verschwunden ist.
Doch diese Hoffnung wird nicht erfüllt. Während sich die Yachten weiter in den Süden bewegen, vertieft sich das tropische Tief Vance zum Hurrikan. Vance entwickelt sich insgesamt zu einem Hurrikan der Kategorie 2 mit Windgeschwindigkeiten um die 95 Knoten.
Und damit wird die Flotte der Cruiser erneut gestoppt. Am Ankerplatz von Bahia Magdalena will man abwarten, bis der Hurrikan verschwunden ist.
Auch hier werden einige Yachtcrews ungeduldig. Die Regattaleitung will allerdings keinen weiteren Vorstoß in den Süden verantworten. Die Flotte liegt ohnehin schon viel zu dicht am Hurrikan. Jede weitere Fahrt in den Süden könnte zur Todesfalle der einhundertfünfzig Yachtcrews werden.
Gruppendynamik setzt ein
Einige Segler glauben zu wissen, dass der Hurrikan ihnen nichts anhaben kann. Sie mobilisieren weitere Segler, Gespräche über einen Aufbruch trotz Hurrikan werden laut.
Eine eigene Gruppendynamik entwickelt sich und die Flotte der Segler spaltet sich. Dabei rutschen Beweggründe (Flugtermine, Arbeitstermine, Zeitstress) der antreibenden Segler in den Hintergrund. Vordergründig werden Wettereinschätzungen (der Hurrikan bricht zusammen oder dreht ab) besprochen, die keinem meteorologischem Wissen zu Grunde liegen.
Trotz Hurrikan sticht eine Gruppe von Seglern in See
Etliche Yachten beschließen, trotz Hurrikan aufzubrechen. Die Rally-Organisation weißt darauf hin, alle Yachten, die nicht auf einen neuen, gemeinsamen Aufbruch warten, zu disqualifizieren. Man distanziert sich klar von dem möglichen Desaster, in das die Gruppe segeln könnte. Die neu geformte Gruppe nennt sich die „Bravehearts“ (die „Mutigen Herzen“).
Der Aufbruch ist ein Spiel mit dem Feuer. Die Gruppe segelt direkt einem Hurrikan entgegen. Mit 95 Knoten Wind ist der Sturm derartig heftig, dass er jeder Schifffahrt zur lebensbedrohenden Gefahr wird. Eine Segelyacht hat kaum eine Chance, einen derartigen Hurrikan auf See oder auf einem ungeschützten Ankerplatz zu überstehen. (Cabo San Lucas, der Zielpunkt der Reise, bietet nur einen ungeschützten Ankerplatz. Es ist jener Ankerplatz, an dem Bernard Moitessier seine JOSHUA verloren hatte.)
Die Geschichte geht gut aus. Die „Bravehearts“ haben mehr Glück als Verstand: Vance dreht noch vor Cabo San Lucas in Richtung Osten ab und fällt in sich zusammen, die Segler werden als besonders mutig gefeiert und einziger Wermutstropfen bleibt, dass ihre Fahrt nicht in der Rally-Wertung Anerkennung findet.
Genausogut hätte die Gruppenentscheidung auch anders ausgehen können. Hätte Vance seine Zugbahn weitergeführt, wäre die Flotte der Bravehearts direkt in den Hurrikan gesegelt. Zu diesem Zeitpunkt wäre es unmöglich geworden, umzudrehen oder den Hurrikan zu entkommen. Die Küste bietet obendrein in diesem Bereich keinen einzigen halbwegs brauchbaren Ankerplatz oder Hafen. Der mexikanischen Küstenwache wäre es vermutlich unmöglich gewesen, mehrere in Seenot geratene Segler aus diesem Hurrikan zu evakuieren.
Die Entscheidung, trotz eines heranziehenden Hurrikanes auszulaufen, hätten Segler dieser Gruppe mit dem Leben bezahlen können.
Rückblickend muss also gesagt werden, dass die Gruppe Segler ein höheres Risiko in Kauf genommen haben, als sie selbst einschätzen konnten. Und wozu? Wegen Flugtikets von einigen wenigen, die vielleicht 50 oder 100 Doller pro Person gekostet haben? Wegen Termine, die in den Kalendern einiger Teilnehmer geschrieben standen?
In Wirklichkeit wurde ein untragbares Risiko in Kauf genommen, weil sich eine Gruppendynamik gebildet hat. Einige Segler hatten nicht genügend Respekt vor den Naturgewalten, um ihre persönlichen Wünsche und Pläne in den Hintergrund zu stellen. Und diese Respektlosigkeit wurde von einigen unsicheren Seglern mit Erfahrung und Mut verwechselt.
Erfahrungen nutzen, aber Gruppendynamik rechtzeitig erkennen
Vermutlich jeder Blauwassersegler hat bereits Erfahrungen mit Gruppendynamik auf Ankerplätzen gemacht. In der Regel ist es ja interessant, eigene Routenplanungen und Wetterprognosen mit anderen Seglern zu vergleichen. Und es ist eine Entlastung, sich auf die Entscheidung und Routenplanung anderer (vermeintlich erfahrener) Segler zu stützen. Allerdings raten wir zur Vorsicht bei gemeinsamen Entscheidungen.
Bevor du dich also einer Gruppe an Seglern anschließt, mach dich schlau:
Was ist der Beweggrund des einzelnen Seglers für die Entscheidung?
Sind die Yachten, die Reisegeschwindigkeiten, die Arten zu Segeln mit deiner vergleichbar? (Leichtwindsegeln, Motoreinsatz,…). Haben somit gemeinsame Segelpläne überhaupt einen Sinn?
Wird eventuelles Risiko heruntergespielt?
Herrscht auch nur ein kleiner Zweifel deinerseits, gehe diesem Zweifel auf den Grund und lass dich nicht von einer falschen Sicherheit einer Gruppe leiten!
Sprich dich mit anderen Seglern ab und erfahre ihre Gedanken und Routenpläne. Aber triff deine eigenen Entscheidungen! Versuche, so viel als möglich über Wetterinterpretation und Routenplanung zu lernen, um möglich selbst entscheiden zu können, wann der beste Zeitpunkt zum Auslaufen ist!
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Sturmsegeln
Du planst eine Reise mit deiner Segelyacht? Einen Ozean zu überqueren und fremde Küsten anzulaufen? Dann ist mehr nötig, als nur zu hoffen, in keinen Sturm zu geraten. Der erfahrenen Hochseesegler Jürgen & Claudia Kirchberger helfen dir, dich auf die Hochsee vorzubereiten.
Wie bereitest du dich und deine Crew vor? Welche Ausrüstung sollte mit an Bord sein? Welche Möglichkeiten hast du, sicher durch einen Sturm zu kommen? Und natürlich: Wie kannst du vermeiden, in Schlechtwetter zu geraten?
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Neu und druckfrisch: Die Probe aufs Exempel: Durch die Brüllenden Vierziger bis nach Kap Hoorn und über die gefährliche Drake Passage bis in die Antarktis. Eine Segelreise der Superlative. Hier geht’s zur Leseprobe…
„Der Wind ist kostenlos!“ Diese Aussage stimmt wohl nicht ganz. Und auch wenn die Ausgaben an Bord jeder Langfahrtyacht sehr individuell sind, manche Kosten an Bord hat wohl jeder Segler auf Langfahrt zu tragen! Eine kleine Zusammenstellung von den Kosten, die auf Segler zukommen, Nadel sie die Trossen im Heimathafen gelöst haben!
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