Sturmsegeln Spezial – Teil 13: Die Sturmfock

Unterwegs auf den Weltmeeren sieht man heute kaum noch Yachten ohne Rollreff-Vorsegel. Einmal abgesehen von einer Handvoll kleinen Yachten unter 30 Fuß LOA und der kleinen Gruppe Traditionssegler unterwegs. Und das ist auch verständlich. 

Liegen die Vorteile von Rollreffanalgen doch auf der Hand:

  • Rollvorsegel sparen dir viel Arbeit. 
  • Das Vorsegel lässt sich schnell zu variierenden Windverhältnissen einstellen. Damit fährts du immer mit idealer Segelfläche, während du in der Praxis mit Stagreitersegel eher etwas zuwartet und dabei die Yacht über- oder untertakelt fährst. 
  • Die Yacht schleppt nicht unzählige Vorsegel mit, die Platz im Vorschiff brauchen und bei jedem Segelmanöver von dir mühsam aus der Lucke gezogen werden müssen.
  • Während der Manöver läuft das Segel nicht in Gefahr, im Wasser nachzuschleifen oder am Deck beschädigt zu werden. 
  • Du musst das Segel nicht falten und in einen Sack zwängen.
  • Du musst zum Reffen nicht aufs Vordeck und kannst im sicheren Cockpit bleiben.
Heutige Hochseeyachten verfügen oft über zwei Rollreffanlagen am Bug. Foto: SIM-Expedition

Doch bekanntlicht kauft man sich mit Vorteilen auch immer wieder mal ein paar Nachteile ein.

Die Nachteile von Rollvorsegel auf Blauwasseryachten:

  • Die Yacht trägt das gesamte Gewicht des gerollten Vorsegels hoch im Rigg.
  • Das weggerollte Vorsegel erzeugt eine hohe Windangriffsfläche im Sturm.
  • Gereffte Vorsegel ermöglichen keinen maximalen Amwindkurs durch schlechteren Segelstand.
  • Das Vorsegel muß zur „eierlegenden Wollmilchsau“ werde: Es kommt von Leichtwind bis ins Schwerwetter in Einsatz und ist für nichts richtig ausgelegt.
  • Gereffte Segel müssen hohe Belastungen standhalten und können daher schneller Ermüdungserscheinungen zeigen.
  • Sturmsegel sind über Rollanlagen kaum noch zu setzen.
  • Da du nur noch selten unter Segel am Vordeck arbeitest, verlierst du die Trittsicherheit. Musst du im Sturm trotz Rollfock aufs Vordeck, kanns dann auch richtig gefährlich werden.
  • Schlecht konstruierte oder gewartete Anlagen können ausfallen.
  • Das Austauschen des Vorsegels bei steifen bis stürmischen Wind wird so gut wie unmöglich, die Yacht kann deshalb nicht mit einem passenden Sturmsegel gefahren werden. (Sturmvorsegel, die über eine Rollanlage gehisst werden, sind nur schwer zu montieren und erfordern von der Crew einen langen Aufenthalt am Bug)
Nur noch selten zu sehen: eine weit gereiste Hochseeyacht mit Stagreitersegel

Während die Nachteile bei günstigen Segelbedingungen kaum ins Gewicht fallen, können sie bei anziehendem Sturm zu ernsthaften Problemen führen.

Das Kutterrigg als beste Lösung für Hochseeyachten

Willst du dennoch auf die Vorteile von Rollvorsegel nicht verzichten, gibts eigentlich nur eine Lösung: das Kutterrigg. Also mindestens einen zweiten Vorstag, auf dem du eine passende, flach geschnittene Starkwindfock angeschlagen fährst und wo du auf ordentliche Stagreiter-Sturmsegel wechseln kannst. 

Das Kutterrig ist übrigens auch ohne Rollreff-Anlage das bevorzugte Rigg für Hochseeyachten. Allerdings macht ein Kutter extra Arbeit: Die laufenden Backstagen behindern das Trimmen des Großsegels, sie sind aber nötig, um den Mast vor allem bei Schwerwetter nicht durch die Belastung des Kuttersegels zu riskieren.

Viele Blauwasseryachten sind heute mit zwei Rollanlagen am Bug ausgestattet. Damit kannst du einfach und vom Cockpit aus die Segel für Leichtwind bis zu schweren Böen trimmen. Musst du dich allerdings einmal bei schweren Sturm freikreuzen, wirst du mit dieser Variante auch an deine Grenzen stoßen. Dann hilft nur ein dritter Stag (am besten zum Wegnehmen per Pelikanharken), an dem eine passende Sturmfock gesetzt werden kann. 

Die Sturmfock muss mit!

Eine hochqualitative Sturmfock gehört zur Segelausstattung jeder Fahrtenyacht. Egal, in welche Seereviere sie sich begibt. Werden Segelreisen in die hohen Breiten geplant, ist die Sturmfock die Mindestausstattung. 

Oberste Regel bleibt: Die maximale Segelleistung einer Blauwasseryacht ist ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen Sturm!

Das heißt auf Klartext: Die Segelgarderobe muss so ausgestattet sein, dass du auch in schweren oder orkanartigen Sturm noch aktiv segeln kannst. Und wenns dick kommt, auch am Wind.

Und deshalb haben wir neben einer Sturmfock auch eine noch kleinere Orkanfock mit an Bord. Das ist zwar selbst auf Expeditionsyachten nicht generell üblich. Auch ist eine Orkanfock vielleicht auf deiner Yacht in deinen geplanten Fahrrevieren nicht nötig, aber zumindest sollte es dir eine Anregung sein, genauer über diene Sturmfock nachzudenken.

Die Größe der Sturmfock

Wie groß sollte eine Sturmfock eigentlich sein? Bildquelle: maritimusboote.de

Wie auch beim Trysegel gibt es für die Sturmvorsegel eine Formel, nach der viele Segelmacher ihre Größenempfehllungen definieren:

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Demnach soll die Größe der Sturmfock maximal 0,05 x Vorstaglänge2 sein. 

Diese Formel stammt aus dem Regattasport. Es ist eine Angabe, die beurteilt, ab welcher Segelgröße das Segel nicht mehr als Arbeitsfock gewertet wird und daher bei Regatten unbewertet mitgeführt werden darf. 

Die Größenauswahl aufgrund dieser Formel an Bord von Fahrtenyachten muss sehr kritisch betrachtet werden. Denn die Sturmfock in dieser Größe kann in schweren Sturm für viele Fahrtenyachten zu groß werden. 

Deshalb empfehlen manche Segelmacher eine Sturmfock in der Größe von 0,03 ( bis 0,035) x Vorstaglänge2 .

Wie also entscheiden?

Wenn du deine Yacht ausreichen kennst, helfen dir einfache Überlegungen, um die passende Größe deines Sturmsegels zu finden:

Die Kraft des Windes steigt im Quadrat zur Windgeschwindigkeit. Das heißt: Bei doppelter Windgeschwindigkeit wirkt die vierfache Kraft auf die Yacht. 

Kennst du nun die maximale Windgeschwindigkeit, mit der du effektiv diene Arbeitsfock am Wind segeln kannst, benötigst du bei doppelter Windgeschwindigkeit also zirka ein Viertel dieser Segelfläche.

An Bord unserer LA BELLE EPOQUE kommt die Arbeitsfock von 30 m2 am Wind bis zu einer Windgeschwindigkeit von 30 Knoten zum Einsatz. Damit können wir davon ausgehen, dass wir für 60 Knoten Wind eine maximale Segelfläche von 7,5 m2 benötigen.

Sturm und Orkanfock an Bord von LA BELLE EPOQUE

Sturm und Orkanfock – nötig oder übertrieben?

Betrachtest du die Berechnung unserer Segelgröße, wird dir schnell klar, dass die Spanne von 30 bis 60 Knoten viel zu groß für ein einziges Segel ist. Auch wenn wir unsere stabile Arbeitsfock bei achterlichen Winden auch bei 8 Windstärken ohne Probleme fahren können. Was aber, wenn wir am Wind fahren müssen oder der Wind auf 9 Beaufort auffrischt?

Wir empfehlen, mindestens zwei Sturmsegeln an Bord einer Yacht zu führen, vor allem, wenn die Yacht in den Hohen Breiten unterwegs ist: Eine Sturmfock für stürmischen Wind von 8 und 9 Beaufort, und eine Orkanfock, für schwere Stürme.

Die Nützlichkeit zweier Sturmvorsegel geht auch aus einem Bericht des fatalen Sydney-Hobart Rennen 1998 hervor, während dessen die Regattaflotte in einem Orkan mit 70 Knoten gemessene Windgeschwindigkeiten für einen Zeitraum von ungefähr 10 stunden geraten war: Im Verlauf dieser Regatta gingen sieben Yachten verloren, sechs kenterten vollständig durch. Sechs Segler verloren ihr Leben, etwa 55 Segler mussten aus Seenot gerettet werden.

Eine der gewinnenden Yachten  (CHS-Division) – eine Swan 46 mit hocherfahrener Crew und bester Ausrüstung – konnte die gesamte Regatta aktiv segeln, da sie sowohl eine Sturmfock an Bord hatte, wie auch ein Sturmstagsegel, das gesetzt wurde, als die Sturmfock zu groß wurde!

Zu Recht wirst du jetzt denken, dass eine hocherfahrene Regattacrew durchaus länger die Yacht aktiv segeln kann, als eine unterbemannte Blauwassercrew oder Familiencrew. 

Doch sollte beim Fahrtensegeln niemals die Ausrüstung die Begrenzung der Möglichkeiten und Taktiken darstellen. Die meisten Blauwasseryachten kommen in Sturm in Bedrängnis, wenn sie vor Top und Takel treiben und keine Möglichkeit mehr haben, aktiv im Sturm zu arbeiten.

Eine kleine, erfahrene Crew kann eine Yacht nur solange sicher bewegen, solange sie die richtige Ausrüstung an Bord hat!

Wie auch beim Trysegel ist bei Sturmvorsegel nicht nur die richtige Größe wichtig, sondern auch:

  • Wie die Segel gesetzt werden, und
  • wieviel Übung die Crew mit den Arbeiten am Segeln mitbringt.

Und damit kommen wir zurück zum Kutterrigg. Verfügtst du über ein Kutterstag ohne Rollanlage oder ein eigenes (wegnehmbares) Sturmvorstag, kannst du bereits bei relativ ruhigen Windbedingungen vor dem anziehenden Sturm die Yacht in aller Ruhe vorbereiten. 

Während die Yacht unter Arbeitsfock läuft, kannst du das Sturmvorstag samt den passenden Backstagen riggen, die Sturm- oder Orkanfock per Stagreiter anschlagen und in einem Segelsack an Deck zurren (aufpassen, dass das Segel nicht am Antirutschdeck schamfilen kann). Auch passende Schoten kannst du bereits vorbereiten und riggen. Damit das Segel auch am Wind bestmöglich arbeiten kann, musst du die Holepunkte so wählen, dass der Winkel zwischen Schiffsmittellinie und Anstellwinkel des Segels zwischen 12° bis 14° liegt. Dafür können eigene Holepunkte für die Sturmfock nötig sein.

Auch hier gilt wie beim Trysegel: Übe mit deiner Crew das Anschlagen und Setzen der Sturmfock. Kontrolliere deine Leinenführung und schreib dir die einzelnen Arbeitsschritte in einem technischen Logbuch zusammen. Du wirst hoffentlich das Sturmsegel so selten benötigen, dass eine niedergeschriebene Gedankenstütze später ungemein hilft!

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So vorbereitet wirst du die Arbeit am Vordeck auf ein Minimum reduzieren, sobald der Sturm über dir tobt.

Oder ganz Einfach: du verfügst über eine Sturmfock am inneren Rollvorstag!

Und was meinen andere Profisegler dazu?

 

Hier gehts weiter zum nächsten Teil:

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