Schwerwetterausrüstung? Genügt es nicht, eine Sturmfock und ein Trysegel dabei zu haben. Ist weitere Ausrüstung wirklich nötig?
Als Antwort zu dieser Frage können wir uns eigentlich nur wiederholen:
Eine kleine, erfahrene Crew kann eine Yacht nur solange sicher bewegen, solange sie die richtige Ausrüstung an Bord hat!
Beim Fahrtensegeln darf die Ausrüstung niemals die Begrenzung der Möglichkeiten und Taktiken darstellen.
Denn eine reguläre Blauwasseryacht hat in der Regel mindestens einen Nachteil, der ihre Möglichkeiten früher oder später begrenzt: Sie wird nicht von mental und körperlich trainierten Spitzensportlern geführt.
Sondern sie fährt mit kleiner Blauwassercrew. Kleinen Familiencrews, die möglicherweise noch nie in scheren Wetter unterwegs waren. Rentnerpärchen, die für ein paar Jahre die warmen Gebiete dieser Welt genießen wollen. Oder bunt zusammengewürfelte Individualisten, die sich alleine, mit Freunden oder mit Gästen in neue Abenteuer stürzen wollen.
Kurzum, Fahrtenyachten werden von Crews gefahren, deren Belastungsgrenzen früher oder später von einem massiven Sturm überfordert werden können. Auch wenn diese Crewmitglieder noch so viele Ausbildungen absolviert haben und noch so viele Seemeilen Erfahrung gesammelt haben.
Und gerade dann wird es für Yacht und Crew wirklich gefährlich:
Die meisten Blauwasseryachten kommen in Sturm in Bedrängnis, wenn sie vor Top und Takel treiben.
Dann, wenn sie keine Möglichkeit mehr sehen oder haben, aktiv im Sturm zu arbeiten und keine Ausrüstung haben, um in dieser Situation die Yacht in der Sturmsee vorm Kentern zu schützen.
Was also tun, wenn der Sturm weiter zunimmt? Was tun, wenn das Boot immer öfter ausbricht und immer schwerer in der aufbrausenden Sturmsee arbeitet? Wenn deine (ablaufende) Yacht laufend droht, die Wellenberge hinunter zu surfen und dabei gefährlichen Querschlagen bedrohlich nahe kommt?
Was tun, wenn du und deine Crew am Rande der Erschöpfung seid? Wenn keiner an Bord mehr zuverlässig steuern kann? Was tun, wenn Angst, Lethargie, Seekrankheit, Erschöpfung und Überbelastung klare Entscheidungen unmöglich machen?
Die richtige Ausrüstung an Bord und das Wissen, wie du diese Ausrüstung auch einsetzt, wird dich davor bewahren, überhaupt in diese gefährliche Situation zu kommen!
Und damit kommen wir zur Sturmausrüstung:
Der Treibanker und der Seeanker
Deutschsprachigen Seglern geben diesem Thema unverständlicherweise immer noch sehr wenig Aufmerksamkeit und so werden viele Treib- und Seeanker immer noch „über einen Kamm geschohrt“. Doch sind viele Treibanker weder in ihrem Einsatzbereich noch in ihrer Wirkung vergleichbar. Ungeachtet dem massiven Unterschied, dass der Treibanker über das Heck ausgebracht wird und gänzlich anders arbeitet als der über den Bug ausgebrachte Seeanker.
Zum Glück wird das Thema Treib- und Seeanker nicht in jeder segelnden Nation so mangelhaft behandelt wie bei uns. Vor allem unter englischsprachigen Seglern gibt es eine Sammlung an Erfahrungsberichten, Forschungen und unzählige Entwicklungen.
Diese Forschungen und Entwicklungen kommen nicht nur von Fahrtenseglern, sondern auch von der Berufsfischerei, von Marineinstituten, der amerikanischen Küstenwache und von Extremseglern.
In Anlehnung an den englischsprachigen Wissenstand werden wir daher in diesem Bericht nicht von „dem See- und Treibanker“ berichten, sondern tiefer in die Materie eintauchen und das Ganze etwas aufschlüsseln.
Treibanker – verschiedene Typen für verschiedene Einsätze
Allgemein ist ein Treibanker ein über das Heck ausgebrachter Schleppwiderstand. Er hilft der Yacht daher auf Raumschotkursen. Er soll das Heck beim Durchlaufen der Sturmsee in den Wind halten und dafür sorgen, dass die Yacht nicht vor der Welle abrutscht oder unkontrolliert surft.
Es gibt verschiedene Bauarten an Treibanker, die verschiedene Wirkungsgrade aufweisen. Oder besser gesagt: unterschiedliche Treibanker haben unterschiedliche Bremswirkung. Und je nach Bremswirkung ist auch ihr Einsatz unterschiedlich.
Die Geschwindigkeitsbegrenzer: Treibanker (drogue) mit mittlerer Bremswirkung
Dabei handelt es sich um Treibanker, die nur solange in Einsatz kommen, solange die Yacht auf Raumschotkursen aktiv gesegelt wird.
Segelst du die Yacht aktiv vor der Sturmsee, läufst du stets Gefahr, dass deine Yacht vor der anrollenden Welle abrutscht oder surft. Und dann bist du der Katastrophe nicht mehr fern, denn in dieser Situation kann die Yacht querschlagen und kentern. Oder, im Fall von extremer Beschleunigung, kann die Yacht sogar über Kopf gehen – also ihrer Länge nach kentern.
Nur ein Schleppwiderstand kann diese Gefahr verhindern. Der geschleppte Widerstand muss dann groß genug sein, um die Yacht daran zu hindern, vor der Welle zu beschleunigen. Andererseits soll die Yacht noch schnell genug bleiben, um gut am Ruder zu liegen, sodass sie noch aktiv gesegelt werden kann.
Das heißt, Treibanker mit mittlerer Bremswirkung müssen die Yacht auf ungefähr ihre durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit begrenzen können. Sie dienen als „Geschwindigkeitsbegrenzer“ und nicht als „Bremse“. Sie werden im englischsprachigen Raum treffend als „speed limiting drogue“ bezeichnet.
Beispiele für Treibanker mit mittlerer Bremskraft sind:
- Nachgeschleppte Leinenbuchten
- Nachgeschleppte Gegenstände (Anker, Kettenstücke, Autoreifen,…)
- Lenzsäcke
- Gailrider Treibanker
- Sea Claw Treibanker
- Delta Treibanker
- Seabrake Treibanker
Ist es nötig, einen Treibanker mit mittlerer Bremskraft an Bord zu haben, oder genügt es, Leinenbuchten oder Gegenstände nachzuschleppen?
Theoretisch sollten auch nachgeschleppte Leinenbuchten der Yacht helfen, nicht über ihre durchschnittliche Marschfahrt zu gelangen. In der Praxis zeigt sich allerdings schnell das Problem, dass nachgeschleppte Leinen durchaus selbst über die Wellen „rutschen“ können und in dieser Situation kaum noch Bremswirkung zeigen. Werden Leinenbuchten von den Wellen beschleunigt, können sie im Ausnahmefall sogar mit der Yacht unklar kommen.
Auch das Nachschleppen von Gegenstände wird in der Theorie manchmal behandelt. Manche Yachten führen deshalb zum Beispiel einen Autoreifen mit, der in der Notsituation als Schleppwiderstand eingesetzt werden kann. Studien der amerikanischen Küstenwache haben allerdings gezeigt, dass Treibanker aus Reifen, Kettenstücken und anderen Gegenständen kaum Wirkung zeigen. Wie Leinenbuchten neigen Reifen dazu, auf den Wellen zu rutschen. Um Bremswirkung durch Kettenstücke zu erzielen, müssen laut US Küstenwache extrem lange Ketten eingesetzt werden.
Leinenbuchten und nachgeschleppte Gegenstände sind daher unserer Meinung nach nur in einer Notsituation brauchbar. In einer Notsituation, wenn der richtige Treibanker verloren gegangen ist oder man sich auf einer schlecht ausgerüsteten Yacht in Sturm findet.
Dann stellt sich doch eher die Frage, weshalb du lieber einen alten Autoreifen an Bord mitnehmen willst, als dass du dir einen ordentlichen Treibanker mit mittlerer Bremskraft für die Ausnahmesituation Sturm zurechtlegst? Selbst die Kosten von einem ordentlichen Treibanker sind kaum ein Grund, darauf zu verzichten. Denn mit etwas Recherche und Arbeit lässt sich ein geeigneter Treibanker durchaus auch mit einfachen Mitteln selber bauen.
Aber was tun, wenn du im Sturm die Yacht nicht mehr aktiv segeln kannst?
Wird die Sturmsee zu extrem, oder die Crew zu erschöpft, um vor einem Treibanker noch aktiv vor dem Wind zu segeln, versuchen viele Yachtcrews, die Yacht ohne Segel vor dem Wind treiben zu lassen.
Dieses Treiben vor Top und Takel wird leider immer wieder als eine gängige Sturmtaktik beschrieben. Ich schreibe leider, denn das Lenzen vor Top und Takel ist keine Sturmtaktik, sondern das Rezept zur sicheren Kenterung im Sturm.
Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Yacht relativ sicher durch den Sturm zu bringen, ohne aktiv zu segeln. Das heißt, solange die Yacht die passende Ausrüstung mitführt und die einwirkenden Kräfte standhalten kann.
In unseren nächsten Bericht gehts deshalb um Treibanker mit hoher Bremskraft und dabei vor allem um den Jorden Reihentreibanker. Und wir werden euch jene Ausrüstung vorstellen, die ein komplettes Stoppen der Yacht in der Sturmsee ermöglichen kann: den Fallschirm-Seeanker.
Hier gehts weiter:
Sturmsegeln Spezial – Teil 15: Treibanker mit hoher Bremskraft – Reihentreibanker
Was aber, wenn du nicht mehr aktiv segeln möchtest oder kannst. Was, wenn weder deine Selbsteueranlage, noch du und deine Crew den Job am Ruder mehr schafft. Was, wenn es dir zu gefährlich wird, dauernd im Cockpit am Ruder zu sein. Oder wenn euch schlicht und weg die Angst davon abhält, noch aktiv segeln zu können? Dann hilft der Jordan Reihen-Treibanker
Du möchtest die gesamte Serie Sturmsegeln auf einmal lesen? Und du möchtest unser Wissen auch mit aufs Boot bringen um offline nachschlagen zu können? Kein Problem!
Sturmsegeln
Du planst eine Reise mit deiner Segelyacht? Einen Ozean zu überqueren und fremde Küsten anzulaufen? Dann ist mehr nötig, als nur zu hoffen, in keinen Sturm zu geraten. Der erfahrenen Hochseesegler Jürgen & Claudia Kirchberger helfen dir, dich auf die Hochsee vorzubereiten.
Wie bereitest du dich und deine Crew vor? Welche Ausrüstung sollte mit an Bord sein? Welche Möglichkeiten hast du, sicher durch einen Sturm zu kommen? Und natürlich: Wie kannst du vermeiden, in Schlechtwetter zu geraten?
Du möchtest mehr übers Thema Sturmsegeln erfahren: Hier gehts zu den vorhergehenden Berichten:
Sturmsegeln Spezial – Teil 13: Die Sturmfock
Im neuen Teil unseres Sturmsegeln Spezial dreht sich alles um die Sturmfock. Welche Ausrüstung benötigst du und wie wird es genützt.
Sturmsegeln Spezial Teil 12 – Das Trysegel
Im neuen Teil unseres Sturmsegeln Spezial erklären wir alles übers Trysegel. Was du an Ausrüstung benötigst, wie es genützt wird und warum du darauf auf deiner Langfahrtyacht nicht verzichten solltest.
Sturmsegeln Spezial: Teil 11 – Segelausrüstung: Großsegel
Die Auswahl der Sturmbesegelung für eine Langstreckenyacht beginnt bereits bei der richtigen Auswahl ihrer normalen Arbeitssegel. Vor allem, wenn es um das Großsegel der Yacht geht. Wir erklären dir, was es zu bedenken gibt.
Sturmsegeln Spezial Teil 10 – die Segelleistung der Yacht
Die maximale Segelleistung einer Blauwasseryacht ist ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen Sturm. Das solltest du wissen, bevor du mit einer Yacht in die große blaue Freiheit ziehst…
Sturmsegeln Spezial – Teil 9: Positionierung
Die beste Sturmtaktik ist, dem Sturm auszuweichen. Wir zeigen dir, worauf du bei deiner Kurswahl achten musst, um dem schlimmsten Bereichen eines Sturmes zu entgehen.
Moin,
Danke das Ihr Eure Erfahrung teilt !
gibts das Sturmsegeln auch auf Papier ? habt ihr das bei eurem Vortrag dabei ?
dann bitte ein Exemplar reservieren.
welche Taktik gibts für Mehrrumpf Boote ?
ich verfolge Eure klasse Homepage und das wachsen der LA BELLE EPOQUE von Beginn an…
Hallo Andreas,
tut uns leid, wir haben Sturmsegeln noch nicht in Papier verlegt. Wir haben selbst noch nicht Sturm an Bord von Mehrrumpfyachten erlebt. Aber wir würden auf jeden Fall die Geschwindigkeit eines Kats nützen und wenn möglich ablaufen. Wenns garnicht mehr klappt, könnte ein am Bug ausgebrachter Seeanker noch helfen, um den Kat zu stoppen und vor Wellen Breitseite zu schützen. Auch für Kats gilt aber, nur nicht treiben lassen, damit er nicht querschlagen kann. Schöne Grüße Claudia und Jürgen
Die Schleppanker (Jordan Darg) und andere werden z.b. von Moitessier, sogr auch W. Erdmann u.v.A. als untauglich bezeichnet! Zudem ist das Seegebiet, Lang-, gemässigter oder Kurzkieler bestimmend. Alle, die in diesen Situationen mit solchen Bedingungen konfrontiert waren, sagten aus, dass es KEIN ALLGEMEINGÜLTIGES REZEPT gibt! Jedes Schiff, jedes Gebiet bestimmt die eigenen Regeln und Erfahrungen. Einzig einig bin ich mit dem Verfasser, dass es nur darum gehen kann, dass das Schiff nicht über den Bug kentert, oder quer schlägt. Hört doch auf mit „allgenmeinen Verhaltensregeln. Zudem kommt Otto nornal Segler kaum je in diese wirklich bedrohenden Situationen. Nicht mal auf der Doggers-Bank. Dort sind die Wellenlängen viel zu kurz.
Wenn du unser Schwerwetter Spezial (oder irgend einen anderen Bericht auf unserer Homepage) liest, wirst du hoffentlich merken, dass wir nicht Verhaltensregeln aufwärmen (auch nicht jene von Moitessier oder Erdmann), sondern unsere Erfahrungen an Interessierte weitergeben. Auch versuche ich (die Verfasserin) nicht, allgemein gültige Rezepte aufzustellen. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass in einem Orkan die Chancen, heil durchzukommen, bedeutend gering werden, wenn du irgendwann keine anderen Möglichkeiten an Bord mehr hast, als die Yacht ihrem Glück zu überlassen. Das Argument, dass Otto-Normal-Segler nicht in bedrohende Situationen kommt, ist ziemlich ignorant. Oder anders gedacht: die wenigsten Segler kommen in die Situation, in der sie ihre Rettungswesten oder gar ihre Rettungsinsel und ihr Epirb benötigen. Würdest du deshalb jeden Segler raten, sich das Geld dafür zu sparen?. Auf Sturmausrüstung zu verzichten, oder den Umgang damit nicht zu kennen, soll dann zielführend sein??? Es ist nebenbei jene Ausrüstung, die den Umstieg in die Rettungsinsel vermeiden kann.
Top Antwort zu @Thomas SV Carmina! Erfahrung und Hausverstand versus Quaksalberei.
Sehr verstaendlich und gut beschrieben. Das ist, so denke ich, ein Thema das oft unterschaetzt wird! Denke es ist auch ein wichtiger Aspekt, wie die Yacht im Heck gebaut ist!
Hallo Skipper Raini, danke für deinen Input. In unserem kommenden Sturmsegeln Spezial wird es um Treibanker mit hoher Bremswirkung gehen, und in diesem Zusammenhang werden wir natürlich auch einiges zum Heck der Yacht schreiben. Schöne Grüße