Sturmsegeln Spezial – Teil 19: Aktiv segeln im Sturm

Es kann nötig sein, im Sturm solange als möglich aktiv zu segeln. Sei es, um den stärksten Teil eines Sturmsystems zu entkommen. Sei es, um sich von einer Küste oder einem Strömungsgebiet freizuhalten. Oder sei es, um einem nachfolgenden Sturmsystem zu entrinnen. 

Du hast zwei Möglichkeiten, in einem Sturm noch aktiv zu segeln: Am Wind und vorm Wind.

Sturmsegeln am Wind

Hart am Wind einen Sturm zu trotzen gehört zu den unbeliebten, aber sicheren und effektiven Taktiken. 

Dabei wird der rollenden See der stärkste Teil des Rumpfes – der Bug – entgegengehalten. Die Yacht am Wind bleibt agil und manövrierfähig und kann nicht ins Surfen geraten.

Allerdings ist diese Möglichkeit wenig beliebt, da sie höchst anstrengend für die Crew ist. Auch schrumpfen die tatsächlich zurückgelegten Seemeilen in sich zusammen. 

Du wirst sie also vermutlich eher dann wählen, wenn das aktive Segeln hart am Wind der beste Kurs ist, um dich aus den gefährlichen Quadranten des Sturms freizuhalten. Oder du musst Höhe halten und kannst dir keine Abtrift erlauben, um später deinen Zielhafens erreichen zu können. Und natürlich musst du diese Sturmtaktik wählen, wenn eine Leeküste dir keine große Wahl mehr lässt.

Am Wind segeln im Sturm
Der Kurs am Wind wird am besten von Hand gesteuert. Dazu brauchst du geübte Steuerleute!

Gegen den Wind muss die Yacht in Kreuzseen von Hand gesteuert werden, da sie nicht zu sehr abfallen und quer zur See kommen darf. Gleichzeitig darf sie nicht zu sehr anluven, da sonst die Segel mit derartiger Kraft schlagen, das Schäden im Rigg entstehen. Auch verlierst du dabei zuviel Fahrt und riskierst, dass deine Yacht zu sehr abfällt, bis sie wieder genug Fahrt aufnimmt.

Du benötigst also eine Crew, die am Steuer geübt ist. 

Durch das Segeln gegen den Wind addiert sich der Fahrtwind mit dem Sturmwind. Durch den erhöhten scheinbaren Wind wird dir der Sturm noch hemmungslos erscheinen, als er ist. 

Ist zuviel Fahrt im Schiff, wird die Yacht über die Wellenberge hoch hinausspringen und mit hartem Schlag auf der Rückseite der Welle landen. Das ist strapaziös und vor allem eine Belastungsprobe für dein Rigg. Mit einer Reduzierung der Fahrtgeschwindigkeit verringerst du diese Belastungen. 

Du musst aber genug Fahrt im Schiff behalten, um mühelos über die Wellen zu kommen. Sonst riskierst du, rückwärts abzuschmieren.

Eine effektive Methode ist der zusätzliche Einsatz der Maschine

Wird die Yacht untertakelt und unter verminderter Motordrehzahl gegen den Wind gehalten, werden die Schiffsbewegungen moderat und die Belastungen dadurch geringer. Dabei muss die Geschwindigkeit so eingestellt werden, dass die Yacht es gut über die Wellen schafft, ohne dabei über die Wellenberge zu springe. Ein Vorteil dieser Kombination von Segel und Motor ist, dass die Yacht auch bei langsamer Geschwindigkeit kursstabil fährt. Auch kann auf diesem Weg mehr Höhe erzielt werden.

Als Variante kann unter Maschine auch die Sturmfock gestrichen werden und unter gerefftem Großsegel mit Motorkraft am Wind gefahren werden. Diese Variante macht vor allem auch dann Sinn, wenn die Yacht keine kleine Sturm- oder Orkanfock an Bord hat, sondern mit eingerollter Fock segeln müsste.

 

Barograf im freien Fall
Das ist erst der Anfang. Es kann losgehen!

Unser Beispiel: Schwerwetterfahrt hart am Wind von der Antarktis zu den Falkland Inseln

Nachdem wir Monate in der Antarktis verbracht hatten, wurde es Zeit für uns, den Weg in den Norden zu starten. 

Da in diesem Revier westliche Winde und Strömung vorherrschen, lag einen Segeltörn hart am Wind vor uns. Mit gutem Grund hatten wir die Falkland Inseln als unseren Zielhafen gewählt: Würden wir abfallen, würden wir eine längere Segelstrecke im Antarktischen Ozean zurücklegen müssen. Und damit würden wir länger als nötig im Reich der Stürme verweilen. 

Auch fehlte uns die Genehmigung, nach Südgeorgien zu segeln. Südgeorgien ist die einzige Insel, die wir bei westlicherem Kurs erreichen würden. Anstelle in etwas über 700 Seemeilen zurück am südamerikanischen Kontinenten zu sein, müssten wir einen Umweg über 3500 Seemeilen bis Südafrika segeln, um das nächste Land zu erreichen.

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Die laufende Beobachtung der Wetterkarten zeigte, dass die laufend durchziehenden Sturmsysteme uns keine 5 Tage Zeit ließen, um diese Strecke zu segeln. Damit war klar, dass wir es zumindest mit ein Sturmtief aufnehmen mussten, bevor wir in Stanley Hafen auf den Falkland Inseln festmachen.

Noch vor dem Schlechtwetter segelten wir so hoch am Wind als möglich.

Jede Seemeile, die wir an Höhe gewinnen konnten, zählte. In der Nacht vom dritten auf den vierten Tag dieser Fahrt würde uns Schwerwetter laut Wetterbericht erreichen. Das zeichnete sich bereits bei Törnbeginn ab, und es sollte sich bewahrheiten. 

Deshalb bereiteten wir uns am Nachmittag des dritten Tages auf die kommende Sturmfahrt vor. Wir füllten den Tagestank mit gefilterten Diesel und wechselten die Dieselfilter, da der Diesel im Haupttank aus Südamerika stammte und nicht vollständig sauber war. Mit zunehmender Bootsbewegung würde Schmutz im Dieselhaupttank aufgewühlt werden, es war besonders wichtig, effektive und leistungsstarke Filter zu haben.

Dann setzten wir – noch bei relativ ruhigen Wetter mit 7 Beaufort – die Sturmbesegelung. Bereits jetzt mit untertakeltem Schiff und laufenden Motor zu segeln, war das kleinere Übel als in der kommenden Nacht bei stürmischen Wind an Deck arbeiten zu müssen.

Für die gesamte Sturmfahrt, die folgte, war damit unsere Arbeit erledigt. Wir erlebten für die kommenden zwei Nächte und einen Tag Wind mit 9 Beaufort Hoch am Wind. 

Am Wind im Starkwind
LA BELLE EPOQUE läuft immer noch unter Autopilot, wir haben keine weitere Arbeit und können uns aufs „beobachten“ konzentrieren.

Gefühlt an Bord waren es eher 10 Beaufort, aber da wir gegen den Wind hielten, überraschte uns das natürlich nicht. 

Die See ging mit geschätzten 4 bis später 6 Metern Wellenhöhe nicht so hoch als erwartet. Da uns unser Kurs direkt über die Untiefen der Burdwood Bank führte, rechneten wir mit höherer See. Erwartungsgemäß war die See sehr rau und steil.

LA BELLE EPOQUE segelte die gesamte Fahrt so kursstabil, dass wir den Autopiloten benützen und uns im Inneren der Yacht aufhalten konnten. Die Fahrtgeschwindigkeit betrug 2 bis 4 Knoten Fahrt über Grund laut GPS. Da wir keine Logge besitzen, ist uns die Geschwindigkeit durchs Wasser nicht bekannt. 

Reserven waren vorhanden, da der Motor nur mit geringer Drehzahl lief. Durch die geringe Segelfläche – wir hatten das vierte Reff im Großsegel eingebunden, dazu die Sturmfock, kein Besan – schoben wir nur ungefähr 20° Lage. Auch hier gab es Reserven: Unsere winzige Orkanfock wartete einsatzbereit.

Am sechsten Morgen unseres Segeltörns erreichten wir um fünf Uhr früh Stanley Hafen auf den Falkland Inseln. 

Gegen Sturm hoch am Wind – möglich oder unmöglich?

Heide und Erich Wilts schreiben in ihrem lesenswerten Buch:

Kommt der Wind mit 40 bis 50 Knoten von vorn, kann man bei entsprechendem Seegang in der Regel keinen Luvgewinn mehrmachen, auch nicht mit Unterstützung der Maschine. Das Standardwerk Seemannschaft behauptet noch in der neuesten Auflage von 2019, man könne bei Windstärken 10 gegenan segeln, aber das gehört unserer Meinung nach ins Reich der Fabeln und wird durch die genaue Anzeige des GPS widerlegt.Heinde & Erich Wilts: Im Sturm Band 1

Wir haben während ungefähr 34 Stunden hoch am Wind gegen durchschnittliche 45 Knoten wahren Wind mit Motorunterstützung zirka 100 Seemeilen zurückgelegt. Nicht erstaunlich schnell, aber doch deutlich mehr als unmöglich.

Doch ist die zurückgelegte Distanz für uns auch nicht immer ausschlaggebend, um uns für diese Taktik zu entscheiden. Hätten wir nach diesen zwei Sturmnächten keine einzige Seemeilen im Plus verbuchen können, wäre es dennoch die richtige Sturmtaktik gewesen. Das Wichtigste war auf diesem Kurs für uns, keine Höhe zu verlieren. Wären wir über diese 34 Stunden beigedreht gelegen, wären erfahrungsgemäß mit durchschnittlich 2 Knoten in Richtung Westen getrieben. Bei einer Kursabweichung von geschätzten 70 Seemeilen hätten wir riskiert, bei den folgenden immer noch steifen Nordwestwinden die Falklandinseln nie zu erreichen. 

Nach Monaten in der Antarktis an Bord wäre es ein herber Schlag gewesen, den Kurs in Richtung Südafrika legen müssen. Das hätte bedeutet, einen vollen Monat ohne frischen Lebensmitteln auf Hochsee zu bleiben. Machbar, aber nicht toll!

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