Sturmsegeln Spezial – Teil 20: Ablaufen vorm Wind

Ablaufen vor Sturm gehört vermutlich zu den ältesten und gängigsten Sturmtaktiken von Yachten.

Auch bei schwerer Sturmsee bewegt sich dabei die Yacht noch verhältnismäßig komfortabel. Der scheinbare Wind wird durch den Fahrtwind reduziert, das nimmt dem Sturm an Bedrohung. Das Risiko, von einer Welle überrollt zu werden ist vermindert, solange die Yacht gute Fahrt voraus macht.

Das gilt allerdings nur, wenn die Yacht auch aktiv gesegelt wird. Nur mit guter Fahrt im Schiff kannst du sicherstellen, ausreichend Ruderwirkung zu haben, um deine Yacht zuverlässig vor dem Wind zu steuern und das Risiko einer Kenterung zu minimieren.

Und damit ist diese Sturmtaktik nicht ganz so einfach und unproblematisch:

Willst du die Yacht sicher vor einer konfusen Sturmsee segeln, müsst ihr Segel setzen und von Hand steuern. Und dazu benötigst du gute Steuerleute, die Wellen aussteuern und Kurs halten können. Ihr dürft weder vor einer Welle querschlagen, noch von einem Brecher breitseits erwischt werden. Und obendrein dürft ihr keine Patenthalse machen.

Aktiv vor dem Wind zu segeln ist anstrengend und ermüdend, vor allem für eine kleine Crew. Unserer Meinung nach sind mindestens zwei hervorragende Steuerleute an Bord nötig, um aktiv vor dem Sturm abzulaufen. Habt ihr euch – wie so viele Blauwassersegler – bisher immer auf den Autopiloten verlassen, habt ihr zu wenig Erfahrung am Ruder. Dann ist diese Taktik bei Sturm zu gefährlich für euch und keine Lösung. 

Denn eine Hochseeyacht in der Sturmsee steuert sich nicht wie ein Auto, viel Gefühl für die Yacht und Erfahrung mit der See ist nötig. Nur so steuert der Steuermann beziehungsweise die Steuerfrau, früh genug gegen. Und nur so erkennt der Steuergänger, ob sich die Fahrtenyacht unter ihrer Besegelung auch noch wohl fühlt.

Expeditionsyacht steuern
Um bei Schwerwetter sicher aktiv vorm Wind zu segeln, bedarf es geübte Steuerleute.

Aktive Segeln im Sturm funktioniert mit einer Zweiercrew nur dann, wenn die Yacht über eine hervorragende und trockene Seekoje verfügt. Nur so kann sich die jeweilige Freiwache genügend erholen, um die Strapazen durchzuhalten.

Auch kann beim Ablaufen die Zeit im Sturm verlängert werden, wenn die Yacht mit der Zugrichtung des Sturmsystems „mitläfut“.

Wie oben beschrieben, muss die Yacht jederzeit genug Fahrt haben, um auf das Ruder reagieren zu können. Unserer Erfahrung nach muss die Blauwasseryacht dafür mit ausreichender Segelfläche gesegelt werden. 

Beim Ablaufen haben wir an Bord von LA BELLE EPOQUE in der Regel das vierfach gereffte Großsegel oder das (am Baum gefahrene) Trysegel sowie eine Sturmfock gesetzt. Nur mit sehr klein gerefftem Großsegel ist es halbwegs möglich, den Druck im Vorsegel zu halten.

Sturmfock und Orkanfock
An Bord von LA BELLE EPOQUE steht eine Sturmfock und eine Orkanfock zur Verfügung. Bisher erlebten wir aber mit dieser Hochseeyacht noch keine Stürme jenseits der 10 Beaufort, weshalb die Orkanfock bisher unangetastet blieb.

Deckt das Großsegel wiederholt die Sturmfock ab, fällt sie ein und schlägt sehr kräftig, sobald sie sich wieder mit Wind füllt. Dabei entstehen hohe Belastungen für Vorstag und Rigg. 

Um dies zu vermeiden, setzen Erich und Heide Wilts einen eigenen, passenden Baum ein, womit sie ihre Sturmfock ausbaumen. Wir holen in der Regel unsere Sturmfock ein wenig dichter, sodass sie ordentlich steht.

Nötigenfalls kannst du das Großsegel/Trysegel streichen und unter Sturmfock alleine segeln, um die Geschwindigkeit zu reuzieren und den Druck im Vorsegel aufrecht zu halten. Dabei werden aber die Rollbewegungen der Yacht erhöht, da die stabilisierende Wirkung des Großsegels wegfällt.

Deshalb nütze das gereffte Großsegel oder Trysegel, solange du kannst, achte aber stets darauf, dass es mit einem stabilen Bullenstander gesichert ist.

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Ablaufen alleine unter gerefftem Groß- oder Trysegel, also ohne Vorsegel, kann – je nach Konstruktion deiner Yacht – gefährlich werden. Das Großsegel erzeugt einen ungünstigen Drehpunkt. Damit wird nicht nur das Risiko einer Patenthalse erhöht, sonder auch die Gefahr querzuschlagen.

Sturmsegel Trysegel
Das Trysegel oder das gereffte Großsegel ohne Vorsegel erzeugen vor dem Wind einen ungünstigen Drehpunkt im Schiff, weshalb wir dieses Segel prinzipiell nicht ohne Vorsegel nützen.

Die Gefahr beim Ablaufen: Das Surfen in der Welle

Beginnt deine Yacht, von den anrollenden Wellen zu surfen, musst du darauf reagieren. Nun aber das letzte Segel endgültig zu streichen und unter leeren Masten vorm Wind abzulaufen, kann sehr gefährlich werden. Denn auch wenn theoretisch der Winddruck auf auf deine Aufbauten und der Takelage hoch genug sein sollte, um die Yacht in Fahrt zu halten, so haben wir in der Praxis doch mit jeder unserer Blauwasseryachten die gegensätzliche Erfahrung gemacht. 

Nicht nur bei unserer schweren Stahlyacht LA BELLE EPOQUE reicht der Winddruck am Boot nicht, um ausreichend Fahrt durchs Wasser und damit genügend Ruderdruck zu garantieren. Und das, obwohl die Yacht mit ihrem Ketschrigg sehr viel Takelage trägt und durch ihr Steuerhaus eine große Windangriffsfläche bietet. Fairerweise müssen wir aber sagen, dass wir mit dieser Yacht noch keinen Orkan mit 11 oder 12 Beaufort auf See abwettern mussten.

Einen Orkan bis 12 Beaufort erlebten wir aber mit unserer ersten Fahrtenyacht, einer Coronado 34 mit kurzem Kiel und leichtem bis mittlerem Displacement. Und auch diese Yacht ließ sich unter blanken Masten nicht sicher vor dem Wind steuer. Als wir die letzte Segelfläche bargen, wurde es richtig gefährlich und die Fahrt endete mit unserem Seenotfall.

Um die Geschwindigkeit zu drosseln und dennoch genug Fahrt im Schiff zu behalten, um durchgehenden Ruderdruck zu garantieren, kannst du in dieser Situation einen Treibanker mit mittlerer Bremswirkung einsetzten.

Aktives Ablaufen mit einem Treibanker

Das heißt, deine Yacht trägt immer noch mindestens ein Sturmsegel, du und deine Crew wechseln sich immer noch am Ruder beim Handsteuern ab, aber um die Yacht davor zu schützen, auf der Welle unkontrollierbar zu Surfen, benötigt es eine Bremse. 

Genauer gesagt, einen Treibanker mit mittlerer Bremswirkung. Jene Ausrüstung, die wir bereits im Teil Schwerwetterausrüstung vorgestellt haben.

selbstgebauter Treibanker
Unser selbst gebauter Treibanker entspricht einen „Gailrider“ und hat eine mittlere Bremskraft. (Bild stammt aus einem Test bei ruhigem Wetter)

Diesen Treibanker bringt ihr übers Heck aus, wenn möglich an einem Hahnepot und am besten an dafür eigens vorgesehene Rüsteisen.

Der so ausgebrachte Treibanker sollte eure Geschwindigkeit nicht besonders bremsen. Die Yacht segelt weiter aktiv unter Sturmbesegelung und wird in keiner Situation soweit gebremst, dass der Ruderdruck nachlässt. 

Der Treibanker wird seine Wirkung zeigen, wenn die Yacht versucht, auf einer Welle auszubrechen und zu beschleunigen. Nun wirkt der Treibanker als Geschwindigkeitsbegrenzer und hält die Yacht in genau diesem Augenblick davon ab, loszustürmen. Die Welle rollt unten durch, ohne das Boot vor sich herzutreiben.

Segeln im Bering Meer
am kritischen Punkt, wird nun die Yacht von der Welle beschleunigt, kann sie ins Surfen geraten und läuft Gefahr, auf eine Seite auszubrechen und querzuschlagend.

Diese Sturmtaktik macht allerdings nur Sinn, wenn ihr euch bereits im schwersten Teil des Sturms befindet. 

Rechnest du damit, dass der Sturm weiter zulegt? Hast du Angst, dass bald auch die kleineste Sturmbesegelung zu viel wird? Oder kommt ihr langsam einer Küste näher und es besteht die Gefahr, auf Legerwall zu geraten? 

Dann musst du dich für eine andere Sturmtaktik entscheiden.

Denn sobald ein Treibanker ausgebracht ist, wird es in der Sturmsee schwierig bis unmöglich, diesen Treibanker wieder einzuholen. Auch ist das Einholen des Treibankers im Sturm eine gefährliche Arbeit.

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Solltest du also damit rechnen, dass es noch viel dicker kommt, wird es Zeit, auf eine Sturmtaktik umzustellen, in der du nicht mehr aktiv segeln musst.

Und darüber werden wir in unserem nächsten Teil berichten, wenn es wieder heißt: Sturmsegeln Spezial! 

 

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