Partnerschaft an Bord – Teil 4 – Hierarchie an Bord

Die Blauwasseryacht ist das Zuhause unserer Partnerschaft. Deshalb solltet ihr euch Gedanken darüber machen, ob ihr wirklich eine hierarchische Struktur, also die klassische Organisation als Skipper und Crew, an Bord aufbauen wollt. Denn nicht jede Beziehung kann hierarchische Strukturen im eigenen Daheim auch durchhalten!

Von Anfang an müsst ihr deshalb diesen wichtigen Punkt klären: Die Hierarchie an Bord!

Nur weil ihr in der Segelschule gelernt habt, oder auf Chartertörns damit einverstanden ward, dass es an Bord von Segelbooten eine Rangordnung gibt, heißt das nicht, dass eine Hierarchie an Bord auch für euch eine gute Lösung ist. Wir und viele andere Segelpaare segeln seit vielen Jahrzehnten ohne Bordhierarchie glücklich und gekonnt über die Weltmeere. Und während die Einteilung zu Skipper und Crew bei machen Paaren unterwegs wunderbar funktioniert, bleibt eine Hierarchie an Bord von anderen Segelpaaren schier undenkbar.

Ihr müsst gemeinsam entscheiden, wie ihr als Segelteam miteinander leben wollt. Auch diese Frage muss mit viel Fingerspitzengefühl behandelt werden. Damit ihr sicherstellt, dass ihr euch beide dauerhaft an Bord wohlfühlen könnt. 

Sicher ist aber: Für ein glückliches Segelteam unter Lebenspartnern benötigt es nicht unbedingt  Hierarchie an Bord. Wir sind sogar der Meinung, dass bei uns Hierarchie an Bord nicht nur unseren Bordfrieden stören, sondern unsere Fähigkeiten als Baluwassercrew einschränken würde.

Als kleine Zweiercrew unterwegs auf den Weltmeeren müssen wir beide gleichermaßen Verantwortung übernehmen.

Es ist nicht zwingend nötig, einen Schiffsführer und Verantwortlichen zu haben. Damit widerspreche ich jedem Lehrbuch, ich weiß! Vielleicht hast du jetzt sogar bedenken, dass diese Einstellung sogar gefährlich für die Sicherheit auf See ist.

Gemeinsam auf Blauwasserreise heißt für uns auch, die Verantwortung für unser Handeln gemeinsam zu tragen.

Deshalb will ich dir hier an unserem Beispiel zeigen, weshalb wir bei uns keine Hierarchie an Bord erlauben:

Würden Jürgen und ich die klassische Einteilung von Skipper und Crew führen, wo lägen die Vorteile und wo die Nachteile für uns und für unsere Segelleistungen und Sicherheit? 

Stellen wir uns einmal vor, Jürgen wäre Skipper, also der Hauptverantwortliche, und ich wäre die Crew oder Bordfrau.

Noch bevor wir ablegen, müssen wir die richtige Route und die passende Segelzeit bestimmen. Eine Vorbereitung, die klar in Jürgens Verantwortung als Skipper fallen würde. Seine Einschätzung, welches Wetter zum Aufbruch genützt werden muss, gäbe den Ton an. 

Da es menschlich ist, Fähigkeiten und Wissen, welche man nicht benötigt zu vernachlässigen, würde ich mich nicht sonderlich anstrengen, über Wetterkunde und Routen zu lernen. Und wozu auch? Meine Meinung wäre ja ohnehin nicht gefragt.

Als Folge daraus entsteht ein Abhängigkeitsverhalten, das auf Jürgen Druck übt. Gleichzeitig würden wir nicht alle Ressourcen an Bord (meinen Kopf und mein Gefühl) nützen.

Alleine Verantwortung tragen!

Was also, wenn es nun unterwegs zu Problemen kommt?

Zum Beispiel, wenn sich das Wetter nicht an den Bericht hält, oder die Entscheidung zum Auslaufen eben nicht perfekt war,…

Dann entsteht ein unausgeglichenes Gefühl im Team: Jürgen würde plötzlich den gesamten Druck seiner alleinigen Entscheidung spüren. 

Als Crew würden nun Ängste und Bedenken auf meiner Seite wachsen. Die Überlegung, ob ich selbst besser geplant hätte, breitet sich aus. Ein Gefühl der Hilflosigkeit entsteht. Diese Hilflosigkeit käme zu einem großen Teil auch daher, weil ich meine Fähigkeiten und mein Wissen über Wetterkunde und Routen nicht ausgebaut hätte. 

Das heißt, diese Hilflosigkeit ist in Wahrheit keine Gefühlsangelegenheit, sondern eine Tatsache. Durch fehlendes Wissen währe ich hilflos und abhängig. 

Hilflos ausgeliefert – nicht das beste Gefühl!

Jürgen würde mehr und mehr ein Einhandsegler werden, der zwar ein „extra Augenpaar“ für die Wache an Bord hat, aber keinen zweiten Profisegler, auf den er sich verlassen könnte. 

Diese Entwicklung würde nicht nur zusätzlichen Druck auf ihn ausüben, sondern erfordern, dass er keinen Einspruch duldet. Denn mein Einwand ist ja nicht professionell und er trägt die alleinige Verantwortung. 

Dieses Ungleichgewicht würde sich bald auf alle Gebiete des Segelns und selbst auf die Partnerschaft übertragen. Ein Gefühl des Vakuums entstünde, das mit zwischenmenschlichen Problemen aufwarten würde. Außer Nachteile ist für uns nichts gewesen!

Im Vergleich dazu zeigen wir dir nun am selben Beispiel unsere Praxis, auf jegliche Hierarchie an Bord zu verzichten: 

Jürgen und ich sind gleichwertige Partner an Bord. Wir sind beide gefordert, unsere Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Gleichzeitig müssen wir Rücksicht auf die Meinung unseres Partners nehmen.

Unterwegs ohne Hierarchie an Bord

Nehme ich also wieder das Beispiel von der Wahl der bevorstehenden Route und dem Zeitpunkt für den Aufbruch zu Hand, läuft das bei uns an Bord so:

Wir betrachten beide die Wetterdaten und überlegen, welche Möglichkeiten vor uns liegen. Bedenken sprechen wir dabei aus. Diese Gedanken können nun nicht einfach ignoriert werden. Es muss eine Entscheidung getroffen werden, die alle Bedenken ausräumt. Oder sie zumindest ins erträgliche Maß vermindert. 

Es entsteht also ein kurzes Gespräch, Überlegungen werden geteilt. Dieses Gespräch führt dazu, dass wir Fehler in den einzelnen Überlegungen besser finden können und bevorstehende Risiken besser einschätzen können.

Längerfristig führt diese Herangehensweise auch dazu, dass wir uns selbst besser kennenlernen.

In unserem persönlichen Fall heißt das, dass sowohl Jürgen als auch ich weiß, dass ich vorsichtiger bin als er, aber dafür auch schneller reagiere. 

Durch dieses „selber besser kennenlernen“ entsteht ein Vertrauen, dass der Meinung des Partners mehr Gewicht gibt: 

Ich habe also mit der Zeit gelernt, mehr Risiko anzunehmen, meine eigene Vorsicht kritischer zu betrachten. Jürgen hat gelernt, meine Reaktion zu schätzen.

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Unsere „Gleichheit“ führt auch dazu, dass wir beide gefordert sind Wissen anzuhäufen und Fähigkeiten aufzubauen. 

Segeln im Eis
Gemeinsam bauen wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten aus – und gelangen zu immer weiteren Zielen!

Kommt es unterwegs nun zu Problemen (wenn sich das Wetter nicht an den Bericht hält oder die Entscheidung zum Auslaufen eben nicht perfekt war,…), entsteht ausgeglichene Teamarbeit:

Wir sind beide für unsere Entscheidung verantwortlich und müssen nun unser Bestes geben, um das Problem zu bewältigen. Jeder trägt nun Verantwortung und kann sich gleichzeitig zu hundert Prozent auf den Partner verlassen. Gefühle stehen nicht im Weg, da sie nicht aufgestaut sind.

Dieses Gleichgewicht zieht sich über alle Gebiete des Segelns und führt zu einer ausgeglichenen Partnerschaft. Das heißt allerdings auch, dass beide Partner erhöht gefordert sind. Sich auf die faule Haut legen und zu denken „Das kann ich nicht“ ist nicht möglich.

Das heißt nicht, dass wir alles an Bord gleichermaßen beherrschen müssen. Das ist nicht nötig. 

Auch wir haben unsere Einteilungen, die sich sogar „klassischer“ ergeben haben als nun viele denken werden.

 Zum Beispiel gehört die Pantry zu meinem Bereich, ich koche gerne, während Jürgen diese Aufgabe nicht schätzt. Richtiges Proviantieren und Stauen gehört zu meinen großen Interessen, bei der mich Jürgen unterstützt. Dadurch baut er ebenfalls Erfahrung und Wissen auf, aber die Verantwortung liegt bei mir und er verlässt sich auf mich. 

Werkstätte und Motorraum sind umgekehrt Jürgens Interessen. Das heißt, ich kenne mich ohne Einschränkungen aus und könnte unsere Technik sowohl warten als auch einiges davon reparieren, doch ich verlasse mich auf Jürgen. So wie sein Wissen in der Lebensmittelkunde von mir stammt, stammt mein Wissen in der Technik von ihm.

Motorwartung
Arbeitsaufteilung an Bord

Für uns bringt diese Gleichberechtigung nur Vorteile. 

Vielleicht denkst du nun, dass die „Entscheidungsfindung“ in dieser Art Gleichberechtigung problematisch viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Was also, wenn schnelles Handeln an Bord nötig ist?

In der Praxis ist Segeln eine sehr langsame Angelegenheit und eine kurze Besprechung vor einer Handlung ist immer von Vorteil. Das nötige Manöver verläuft dann reibungsloser und mögliche Fehler durch gestresste Reaktion werden verhindert. 

Ist allerdings doch einmal eine sofortige Handlung nötig, dann ist es die Entscheidung des Wachhabenden. Es muss nicht erst ein Skipper geweckt werden, wir beides sind Profis und können unsere Handlung verantworten.

Segelmanöver
Der Wachhabende kann sofort handeln.

Über die Jahre haben sich durch unsere hierarchielose Herangehensweise unsere Fähigkeiten und Gefühle auf ein relativ gleiches Maß eingependelt. Und wir kennen unsere Yacht und ihre Fähigkeiten gleich gut.

Zum Beispiel wählen wir beide eigentlich immer den gleichen Zeitpunkt, um die Segel zu reffen. Dass Einer von uns früher Reffen will, als der Andere, gab´s seit Jahren nicht mehr. 

Stressige Momente werden im Gleichklang abgearbeitet. Wir schreien uns nicht gegenseitig an oder schmollen auf den anderen. Wir haben gelernt, mit den Reaktionen des Partners richtig umzugehen. 

Jürgen grinst höchstens darüber, wenn ich wieder mal (für ihn) übertriebenen Abstand von Untiefen halte oder am Ankerplatz eher weiter draußen als zu Nahe beim Land abstoppe. Ich vertraue darauf, dass sein gewählter (für mich) später Zeitpunkt zum Vorbereiten des Boots auf das Ankermanöver (also Segel einhohlen und den Anker vorbereiten) ausreicht. 

Auf den Partner einzugehen ist letzten Endes nicht zu viel verlangt.

Bordleben
Zweisamkeit an Bord heißt auch, die nächsten Segeletappen gemeinsam zu besprechen. Foto© Ramona Waldner

Diese Art der hirachielosen und gemeinsamen Bordführung birgt einen weiteren wichtigen Vorteil: Jeder von uns könnte das Boot auch im Alleingang führen.

Wird jemals der Fall eintreten, dass Jürgen zum Beispiel durch Krankheit, Verletzung oder anderem verhindert ist, werde ich nicht von unüberwindbaren Problemen stehen.

Ich bin mir zwar sicher, dass ich LA BELLE alleine vorausschauender und damit höchstwahrscheinlich langsamer segeln werde, aber das hat körperliche Gründe. Denn das Reffen des Großsegels im Alleingang, oder das Abschlagen des Spinnakerpols, müsste ich noch vor einer Windzunahme erledigen, um mich nicht an meine Kraftreserven stoßen zu lassen. Das hat nichts mit Angst oder Vorsicht zu tun, sondern damit, das Jürgen bei weitem mehr körperliche Kraft hat als ich. 

Auch müsste ich die Segeletappen anders einteilen, denn alleine könnte ich kaum längere Strecken durchhalten, ohne dabei die Wache oder Schiffsführung zu vernachlässigen. Denn ich glaube nicht, dass ich die Fähigkeiten eines Einhandseglers habe.

Im Großen und Ganze hoffe ich natürlich, dass ich niemals die Situation, alleine zu segeln, erleben werden. Denn dazu habe ich schlichtweg keine Lust. Ich liebe unseren gemeinsamen Lebensweg und fühle mich wohl in unserer Partnerschaft.

Ausgeglichen als Lebenspartner unterwegs zu sein, heißt also vor allem auch, die Verantwortung zu teilen. Und wie das gehen soll, zeigen wir dir in dem nächsten Bericht! In wenigen Tagen gehts weiter mit unsrem großen Spezial: Partnerschaft an Bord!

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