Sturmsegeln Spezial: Teil 11 – Segelausrüstung: Großsegel

Die Auswahl der Sturmsegel für eine Langstreckenyacht beginnt bereits bei der richtigen Auswahl ihrer normalen Arbeitssegel. Vor allem, wenn es um das Großsegel der Yacht geht. Da dieses Segel an Bord von vielen Yachten auch dann noch im Einsatz ist, wenn bereits stürmischer Wind steht.

Heute ist die Wahl des Großsegels allerdings nicht nur auf das Segel selbst beschränkt, zuerst muss entschieden werden, welches System das Großsegel sein sollte. Die Angebote am Yachtmarkt reichen von Rollmasten und Rollbäumen bis zu ganz traditionellen Bindereffsegel.

Die Entscheidung, eine Fahrtenyacht mit einem Rollgroßsegel anstelle eines herkömmlichen Großsegels mit Bindereff auszustatten, ist kritisch. Auch wenn Rollanlagen bei normalen Segelbedingungen zweifelsohne praktisch sind, so können sie bei extremen Wetterverhältnissen problematisch werden. Wir haben immer wieder Yachten getroffen, die bereits bei stürmischen Bedingungen schwere Komplikationen mit ihren Rollgroßsegeln erlebt haben. 

Die unterschiedlichen Systeme und ihre Probleme:

Der Rollreff-Mast

Der Rollgroß-Mast

Auf ersten Blick besticht ein Rollreff-Mast mit der einfachen Handhabung. Das schwere Großsegel muss zum Setzen nicht erst hochgezogen werden. Am Ankerplatz entfällt das Auftuchen und Abdecken des losen Segels und gerefft werden kann einfach und stufenlos. Zumindest, solange alles richtig funktioniert.

Allerdings kauft man sich mit einem Rollgroßmast vor allem auf einer Hochseeyacht auch Nachteile: 

  • Das generell am Mast angeschlagene Großsegel sorgt für ein hohes Topgewicht, auch wenn es bei Schwerwetter gerefft gefahren wird. Ein Nachteil, der gerade bei Langstreckenyachten sprichwörtlich schwer wiegt, da gut ausgerüstete Blauwasseryachten bereits ohne Rollgroßsegel bereits mit vermehrtem Gewicht auf ihrem Rigg belastet sind (1 bis 2 Rollvorsegel, Radar und andere Antennen, Solaranlagen,…)
  • Das Segel kann nicht auf jedem Segelkurs gerefft werden. Um ein im Mast gerolltes Großsegel einzurollen, muss die Yacht im optimalen Winkel am Wind gebracht werden. Nur so lässt sich das Großsegel ordentlich einrollen, ohne Gefahr zu laufen, dass es sich verklemmt. Ein Großsegel, dass sich nicht vor dem Wind oder unter beigedrehter Yacht verkleinern lässt, ist allerdings problematisch auf Blauwasserreise. Und ein verklemmtes Großsegel, dass sich bei Starkwind weder ein- noch ausrollen lässt, gehört wohl zu den größten Albträumen von Hochseesegler!
  • Um die Segelfläche für leichte Winde zu optimieren und das Achterliek auszustellen, werden Segel für Rollmastanlagen gerne mit durchgehenden senkrechten Latten gefertigt. Großsegel mit langen, horizontalen Latten sind allerdings für eine kleine Crew bereits bei normalen Segelbedingungen kaum noch vom Mast zu bekommen. Kommt die Blauwassercrew nun in die Situation, bei Schwerwetter Reparaturen am Großsegel vornehmen oder ein Ersatzsegel einschären zu müssen, ist es so gut wie unmöglich, das Segel zerstörungsfrei vom Mast zu bekommen. Ganz zu schweige von der Gefahr, in die sich Segler im Sturm bei dieser Arbeit begeben.
  • Der Grundsatz: „Jedes Reff ist nur so gut wie seine Befestigungen und/oder Umlenkungen“ betrifft vor allem auch Rollsegel. Eine Blauwasseryacht kann unter Umständen über Tage schwierigen Wetterbedingungen ausgesetzt sein. Auch in solchen Situationen müssen alle Komponenten durchhalten. Wir haben allerdings bereits (namhafte) Fahrtenyachten mit ausgerissenen Baumschienen und gebrochenen Umlenkrollen getroffen.
Fahrtenyacht unterwegs im Pazifik mit einem Rollgroßbaum

 

Der Rollbaum

Bereits Anfang der 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde mit Rollbäumen experimentiert, indem Bäume an einer Drehvorrichtung installiert wurden. Mit einer eigenen Kurbel wurde der Baum gedreht und dabei das Segel um den Baum einwickeln. Der Segelstand war bei so gerollten Großsegel freilich alles andere als günstig.

Dann kamen die Rollmastsysteme und der Rollbaum geriet in den Hintergrund. Und doch zeigte der Rollbaum interessante Vorteile im Vergleich zum Rollreffmast:

  • Wie beim konventionellen Bindereffgroß bleibt das Segel nicht am Mast und mit zunehmenden Reffen wandert auch das Gewicht des Segels Richtung Baum. 
  • Auch wenn das Segel klemmt oder die Rollanlage nicht funktioniert, kann das Segel geborgen werden. Das gesagt, lässt sich schon erahnen, dass auch Segel auf Rollbäume besonders achtsam eingerollt werden müssen, da diese Anlagen verklemmen können.
  • Über dem Baum eingerollte Segel können mit horizontalen Latten ausgestattet werden.

Heute wird von einigen Mastherstellern wieder intensiv an Rollbäumen entwickelt. Allerdings werden heute die Segel natürlich nicht mehr um, sondern in den Baum gerollt. 

Nachteile im Vergleich mit konventionellen Bindereff-Großsegel gibt es aber trotz neuer Entwicklungen:

  • Da die Segel in einer Nut am Mast und nicht auf Rutschern gefahren werden, sind sie schwerer zu setzten. Für die Blauwassercrew, die nicht aus Spitzensportler besteht, kann das Setzen eines Rollbaum-Großsegels zu einem Kraftakt werden. Eine elektrische oder hydraulische Winde kann nötig werden. Damit sind nicht nur erhöhte Kosten verbunden, kritisch sollte auch die zusätzliche Abhängigkeit von Ausrüstung betrachtet werden.
  • Wir haben außerdem eine Yacht mit Rollbaum getroffen, die Probleme mit enormem Schamfilen bei eingerefftem Großsegel hatten, da das Tuch gegeneinander und im Baum gescheuert hat.
Unterwegs mit dem traditionellen Bindereff

Das konventionelle Großsegel mit Bindereff

Viele Blauwasseryachten sind deshalb nach wie vor mit konventionellen Großsegel mit Bindereffs ausgestattet. Gerefft wird in vorgegebenen Reffstufen entweder mit Einleinenreff oder klassisch als Bindereff mit Reffring am Lümmelbeschlag.

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Während herkömmliche Bindereff-Groß arbeitsintensiver sind als Rollgroßanlangen, liegen ihre Vorteile auf der Hand: Sind alle Anschlagpunkte entsprechend dimensioniert, gewährleistet das so eingereffte Großsegel bestmöglichen Segelstand bei größtmöglicher Sicherheit. Vor allem, wenn das Reffauge zusätzlich mit einer Trosse um den Baum gesichert wird.

Ein weiterer Vorteil vom Bindereff ist vor allem für die im Sturm an ihre Leistungsgrenzen geratende Fahrtencrew wichtig: Dieses Segel lässt sich in der Regel auch vor dem Wind reffen und ein Aufschießen gegen den Sturm ist nicht zwingend nötig.

Der Vorteil, den Einleinenanlagen gegenüber herkömmlichen Bindereffs haben – die Reffleine ins Cockpit umleiten zu können und weder an den Mast noch an den Baum zu müssen – ist unserer Meinung nach bei richtigen Sturmfahrten nicht wirklich gegeben. Denn anders als bei kurzen stürmischen Schauerböen muss bei einem anhaltenden Sturm das lose Tuch ohnehin eingebunden werden. Dazu muss der Segler an den Baum. Das zusätzliche Leinengewirr, und alle nötigen Umlenkrollen sind daher kaum zu rechtfertigen.

Einleinenreff – Bild von https://www.blauwasser.de/yacht/segel/segelreffen

Im Gegenteil zu Rollgroßsegel können Bindereff-Großsegel nicht stufenlos gerefft werden. Vom Segelmacher genähte Reffreihen sind nötig. Während viele Yachten mit drei Reffreihen unterwegs sind, haben wir uns für vier Reffreihen im Großsegel entschieden. Und wir sind mit dieser Entscheidung sehr glücklich. Unser viertes Reff ergibt zirka dieselbe Größe wie unser Trysegel. Und auch wenn wir ein Trysegel an Bord haben, fahren wir lieber das vierte Reff im Groß, da sich das eingereffte Großsegel optimal auf allen Kursen trimmen lässt. 

Ein Großsegel mit nur zwei Reffreihen ist für Langfahrt definitiv zu wenig, auch wenn viele Segler immer wieder berichten, das erste oder zweite Reff kaum zu verwenden, da sie lieber gleich massiver einreffen, anstelle zu riskieren, in kurzer Zeit bei zunehmenden Wind erneut aus der Sicherheit des Cockpits zu müssen.

Das ist prinzipiell in Ordnung, wenn genügend Seeraum vorhanden ist und die Yacht auch untertakelt nicht in Probleme gerät. Muss sich die Yacht aber von einer Küste freihalten, benötigt sie ihren maximalen Antrieb, frühzeitiges übertriebenes Reffen kann dann wertvolle Meilen kosten.

Nicht nur Sturm und Schwerwetter führen zu hohen Belastungen des Großsegels. Alleine die schiere Dauer, Ozeane zu überqueren bringt enorme Belastungen.

Die Qualität des Großsegels

Das Großsegel muss an Bord einer Langstreckenyacht unglaubliche Leistung bringen. Es ist jenes Segel, das fast bei allen Bedingungen in Verwendung ist und auf Ozeanüberquerungen tausende Seemeilen am Stück zurücklegen muss. Es ist ein Segel, das hin und wieder Überlastungen erlebt, indem es zu spät gerefft wird und das bei Reisen über den Äquator massiven UV-Belastungen ausgesetzt wird.

Und deshalb muss bei der Auswahl eines Großsegels auf Langfahrtenyachten besonders auf eine hohe Qualität wert gelegt werden. Das Großsegel muss möglichst lange seine Form behalten, die Nähte müssen langlebig sein und das Segel muss auch unterwegs repariert werden können. Verstärkungen müssen an allen Stellen mit erhöhten Belastungen eingenäht sein und Scheuerstellen müssen entweder umgangen oder so verstärkt werden, dass sie zu keinem frühzeitigen Bruch führen. 

Das Segeltuch

Das Segeltuch

Herkömmliches, gewebtes Polyestersegeltuch (Dacron) ist in der Regel nach wie vor das wichtigste Tuchmaterial für Blauwasseryachten. Es ist wiederstandsfähig, kann selbst geflickt werden und verzeiht es am ehesten, auch mal überbelastet zu werden. Fast überall auf der Welt finden sich Segelmacher, die ein Dacronsegel halbwegs brauchbar reparieren können. 

Leider beobachten wir allerdings den Trend, dass schweres Polyestersegeltuch immer öfter weniger durch gutes Weben und mehr und mehr durch massive Beschichtungen produziert wird. Das führt dazu, dass die Segel im Umgang auf der Blauwasseryacht immer schwieriger zu handhaben sind. Auch „bricht“ die Beschichtung umso schneller, wenn die Segel nicht auf Rollanalgen, sondern konventionell gefahren werden. Durch das ständige Zusammenlegen, Niederbinden und Einreffen werden bald Bruchkanten in der Beschichtung sichtbar und das Gewebe wird sichtbar in Mitleidenschaft gezogen. Wir haben die Erfahrung gemacht, das älteres, „wiches“ Segeltuch durchaus länger haltbar bleibt. Von der einfacheren Handhabung ganz zu schweigen.

Mittlerweile bietet der Markt Offshoresegel aus diversen „Cruising Laminat“ Dabei handelt es sich in der Regel nicht um echte Laminatsegel, sondern um gewebte Polyestersegel mit Einlangen aus Spektra oder anderen Fasern. Dieses Segeltuch ist in der Regel teurer als einfaches Polyestertuch, bietet aber auch den Vorteil, länger formstabil zu sein. Und damit sind Tücher aus diversen Cruising Laminat durchaus interessant.

Diverse Segellaminate sind nach wie vor kaum an Bord von Blauwasseryachten anzutreffen. Sie sind teuer und weniger langlebig. Auch sind sie anfällig gegen Überbelastungen, wie zum Beispiel das verspätete Reffen oder das Segeln bei sehr böigen Winden. Wird ein Großsegel aus Laminat an Bord einer Blauwasseryacht gefahren, muss für den Einsatz im Sturm unbedingt ein eigenes Trysegel an Bord sein.

Der Segelschnitt

An Bord von Hochseeyachten hat sich auch bezüglich des Segelschnittes über viele Jahre nichts großartig verändert: immer noch kommt vermehrt der reguläre Horizontalschnitt in Einsatz. Dieser Schnitt wird in Kombination mit Polyestergewebetuch immer noch als ideal auf Fahrtenyachten gewertet. 

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Je nach persönlicher Einstellung und Geschmack variieren allerdings die Lattenlängen auf Blauwasseryachten: Die Palette reicht von durchgelatteten Segeln bis hin zu Großsegel ohne Latten. Abgesehen vom verbesserten Segelschnitt durch Latten sind diese  Merkmale an Bord von Langfahrtyachten interessant: Während durchgelattete Segel bei leichter Brise oder in der Flaute weniger schlagen, können sie zu vermehrtem Schamfilen beim Ablaufen vor schweren Winden führen. 

Teilweise Latten sind die gängigste Lösung, um ein sauber geschnittenes Achterliek zu gewährleisten. Allerdings können sie vor allem beim Reffen des Großsegels zu Problemen führen: Sie verheddern sich in Wanten und Lazybag-Schoten und schlagen wie wild gegen das Rigg. Auch müssen sie so konstruiert sein, dass sie an ihren Kanten nicht zu Bruchstellen im Tuch führen.

Am einfachsten zu handhaben sind Großsegel gänzlich ohne Latten. Sie kommen auch beim Reffen vorm Wind nicht unklar. Allerdings können Segel ohne Latten nur ohne Achterliekrundung genäht werden. Die Yacht verliert daher ordentlich an Segelfläche und damit an Antrieb.

Dreifache Nähte sollten Standard von Blauwassersegel sein

Die Segel-Ausführung

Ein Großsegel für Blauwasserreise muss besondere Ausführungen vorweisen. Und wird erst damit wirklich geeignet für Sturmfahrten:

Es benötigt im Kopf, am Schothorn, am Hals und an allen Reffpunkten größere Verstärkungen und sollte generell mit dreifachen Nähten genäht sein. Das Vorliek und das Achterliek sollte mit extra Tuchstreifen verstärkt sein. 

An allen Stellen, an denen das Tuch am Rigg schamfilen kann, muss zusätzlicher, beidseitiger Scheuerschutz aufgenäht – oder besser aufgeklebt – sein. Das gilt auch für die Scheuerstellen am eingerefften Großsegel und vor allem an den Lattentaschen. 

Auch die permanent gefahrenen Reffleinen an den Reffaugen am Achterliek müssen genau auf mögliches Schamfilen beobachtet werden. Vor allem eingebundene Knöpfe können am Tuch scheuern.

Neben dem mehrfach reffbaren und widerstandsfähigem Großsegel gehört ein passendes Trysegel zur Sturmausrüstung. Und darüber werden wir im nächsten Beitrag berichten, wenn es wieder heißt: Schwerwetter und Sturm.

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