Sturmsegeln Spezial – Teil 22: Was nicht funktioniert!

Speziell schlecht vorbereitete oder wenig erfahrene Yachtcrews sind teilweise der Meinung, Beiliegen unter Top und Takel gehört zu den erfolgreichen Sturmtaktiken. Aber:

Lenzen unter Topp und Takel ist keine Sturmtaktik, sondern sich auf Glück verlassen.

Lenzen oder Treiben unter Topp und Takel heißt, alle Segel werden gestrichen und die Yacht wird – ohne Steuerung oder Schlepphilfe – sich selbst überlassen. Vertreter dieser Taktik sind der Meinung, dass aufgegebene Yachten, die nach einem Sturm wieder gefunden werden, den Erfolg dieser Taktik bezeugen.

In der Regel wird diese Variante von Crews angewendet, die über keine einsatzbereite Sturmausrüstung verfügen, mit dem Steuern ihrer Yacht nicht klarkommen und seekrank und lethargisch sind. Von Blauwassercrews, die durch Angstzustände und Überforderung nicht mehr effektiv arbeiten oder klare Entscheidungen treffen können.

Anstelle einen Plan zu fassen, wie sie sich aktiv aus dieser Notlage befreien, sind sie körperlich und geistig erschöpft und hoffen nur noch darauf, irgendwie von selbst aus dem Sturm zu kommen. 

Lenzen vor Topp und Takel ist keine Sturmtaktik. Gibt es keine Schwerwetterausrüstung an Bord und kann die Yacht nicht mehr sicher beigedreht werden, muss sie wie hier aktiv gesegelt werden.

Doch verlassen sie sich beim Treiben unter Topp und Takel auf eine falsche Hoffnung. Um es ganz deutlich zu formuliert: 

Die Yacht sich selbst überlassen ist das sichere Rezept zur Kenterung im Sturm!

Die Frage ist nur, wie schwer die Kenterung ausfallen wird.

Jede Yacht, die sich selbst überlassen wird, bietet der See ihre Breitseite – und damit ihre verwundbarste Position. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein brechender Wellenkamm die Yacht trifft und kentert. Und es ist nur eine Frage des Pechs, ob eine dieser brechenden Wellen groß genug ist, um die Yacht durchzurollen oder zu beschädigen. 

Und auch wenn eine Kenterung nicht zwingend den Untergang einer Yacht heißt, so ist sie doch ein Unfall, der an Mensch und Material massiven Schaden hinterlassen und zu einer Kettenreaktion bis zum Verlust von Leben führen kann.

Oder betrachte es einfach so: Für jede aufgegebene Yacht, die nach einem wirklichen Überlebenssturm wieder gefunden wurde, gibt es auch die Geschichte einer anderen Yacht, die für immer verschwunden ist. Willst du dich auf dein Glück verlassen, zufällig Teil des ersten dieser beiden Fälle zu sein?

Und deshalb ist unser Tipp, dich doch genau mit dem Thema Sturmsegeln zu befassen und deine Yacht, deine Crew und dich selbst nach bester Möglichkeit für Schwerwetter vorbereiten. Du entfernst ja auch die Sicherheitsgurte aus deinem Auto nicht, nur weil auch schon mal Menschen ohne Sicherheitsgurt einen Unfall überlebt haben! 

Was aber, wenn alles schief geht? 

Steige niemals von einer schwimmenden Yacht in die Rettungsinsel!

Tausche niemals ein schwimmendes Schiff gegen eine Rettungsinsel

Als wir 2000 in einen Orkan ungefähr 200 Seemeilen vor der Ostküste der USA und, in seinem Verlauf, in Seenot gerieten, waren wir nicht die einzige Crew, die von diesem Orkan überrascht wurde. Fünf Yachten gerieten in unserem Umfeld in Seenot. Aber wir waren an Bord der einzige Yacht, die bei einer schweren Kenterung leck schlug. 

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Alle Crews kämpften mit massiven Problemen. Ob die betroffenen Yachten von ihren Crews – uns eingenommen – zu früh aufgegeben wurden, lässt sich nicht beurteilen. Was aber beurteilt werden kann und sollte, ist die Erfahrung, welche jene Crews machen mussten, die ihre (schwimmende) Yacht gegen ihre Rettungsinsel tauschten:

Insgesamt drei Crews trafen die Entscheidung, von ihrer Yacht in die Rettungsinsel zu steigen. 

Im Fall von einer Crew hat das auch funktioniert. Die Rettungsinsel ging ordnungsgemäß beim Überbordwerfen auf und wurde mit einer Trosse am Heck der Yacht befestigt. Die Crewmitglieder stiegen über und blieben bis zu ihrer Rettung durch die Küstenwache mit der Yacht verbunden.

Die zweite Crew, die in ihre Rettungsinsel stieg, kam schnell in lebensbedrohliche Probleme: Ein Crewmitglied wurde von der Sturmsee aus der Rettungsinsel gerissen. Es ist nur dem extrem schnellen und professionellen Einsatz der US-Küstenwache Airstation Elisabeth City zu verdanken, das dieses Crewmitglied in der Sturmsee gefunden und geborgen werden konnte. Es war jener Rettungshubschrauber, der bereits über unseren Köpfen mit unserer Rettungsaktion begann. Der Pilot brach sofort unsere Rettung ab und eilte zur Unglücksrettungsinsel. Wäre nicht bereits unser Rettungsteam Vorort gewesen, hätte dieses Crewmitglied sein Leben verloren. Und das, obwohl die betroffene Yacht zu diesem Zeitpunkt noch schwamm (Und später auch von Fischern gefunden wurde).

Die driette Crew, die in ihre Rettungsinsel steigen wollte, bekam andere Probleme. Während die Crew die Rettungsinsel überbord befördern wollte, flog die Hartschale der Insel mit einer derartigen Wucht übers Deck, dass ein Crewmitglied verletzt und überbord geworfen wurde. Die restliche Mannschaft konnte, aufgrund der eingepikten Lifeline, mit eigener Kraft das Crewmitglied aus dem Wasser retten. In der Zwischenzeit blies sich die Insel auf, um sofort wieder in sich zusammenzusacken und im Meer zu verschwinden.

Rettungshubschrauber
Rettungshubschrauber im Einsatz

Mit dieser Reihe „Sturmsegeln Spezial“ haben wir dir hoffentlich einen Einstieg in das komplexe Thema gegeben. Wir raten dir und deiner Crew, euch mit weiterer Literatur und mit Sturmberichten zu beschäftigen. Damit ihr nicht, so wie wir auf unserer ersten Segelreise, einmal feststellen müsst, dass ihr eure Yacht aufgeben müsst. 

 

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